Die Beziehung zwischen Mann und Frau in Sebastian Brants NARRENSCHIFF (1494)

Von Clarissa Höschel

Einleitung

Die 1494 erschienene Moralsatire des humanistisch gebildeten Juristen Sebastian Brant veranschaulicht im Kontext der sieben Todsünden das Sündige der menschlichen Existenz und die damit verbundene Abwendung von einem gottgefälligen Leben. In 112 Kapiteln werden, in didaktischer Absicht, die verschiedenen Facetten von Narrheit an den Pranger gestellt, wobei die fehlende Selbsterkenntnis der Narren das größte Hindernis auf dem Weg zur Weisheit ausmacht, so wie es Brant bereits in der Vorrede anklingen lässt: „Dann wer sich für einen narren acht/ Der ist bald zů eym wisen gmacht. “ Nachdem dieser Sünden- und Narrenkatalog die allermeisten Lebensbereiche beleuchtet, werden dabei auch die Geschlechter in ihren Eigenschaften als sexuelle Wesen, Eheleute und Eltern betrachtet, was wiederum Rückschlüsse auf aus Brants Sicht wünschenswerte und verwerfliche Beziehungen zwischen Mann und Frau und deren Rolle innerhalb der Gesellschaft zulässt. Besonders interessant ist diese Darstellung der Geschlechter angesichts der Tatsache, dass sich gerade am Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit die Bedeutung von Ehe und Familie und auch die Stellung der Frau grundlegend verändern. Die vorliegende Arbeit will deshalb versuchen, die Darstellung von Mann und Frau sowie Ehe und Familie in Brants Narrenschiff zu hinterfragen und vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen darzustellen. Die zentrale Frage wird dabei sein, nach welchen Regeln Ehe und Familie bei Brant organisiert sind und welche Aspekte überhaupt zur Illustration herangezogen werden.

1 Sebastian Brant: Das Narrenschiff (1494)

1.1 Der Autor

Der Humanist Sebastian Brant wird 1457 oder 1458 in Strassburg geboren, wo er am 10.5.1521 auch stirbt. Ab 1475 studiert er Jura in Basel, wird 1480 Bakkalaureus der Rechtswissenschaften und 1483 Lizentiat. Seitdem wirkt er als Lehrer für römisches und kanonisches Recht an der Universität Basel. 1489 promoviert er zum Dr. iur. utr. und beginnt mit der Edition verschiedener kirchenrechtlicher Schriften. 1496 wird Brant besoldeter Professor. 1501 kehrt er nach Strassburg zurück, wo er als Stadtschreiber (oberster städtischer Beamter), kaiserlicher Rat und Beisitzer des Reichskammergerichts tätig ist. Gleichzeitig nimmt er seine publizistische Tätigkeit auf, die nicht nur eigene Werke umfasst, sondern auch die Herausgeberschaft grundlegender Werke nicht nur seiner Zeitgenossen, darunter zwei heute noch bedeutende Rechtsbücher.

1.2 Das Werk

Zur Fastnacht (!) 1494 veröffentlicht er sein Narrenschiff, eine gereimte Moralsatire, in der 111 (!) Narren menschliche Torheiten und Laster durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch verkörpern Das Narrenschiff steht damit am Beginn der seit dem 16. Jahrhundert populären Narrenliteratur und verfolgt und einen klaren pädagogisch-didaktischen Anspruch, der bereits im Vorwort expliziert wird, denn dort heißt es: »Zu nutz vnd heylsamer ler / vermanung vnd ervolgung der wyßheit / vernunfft vnd guter sytten: Ouch zu verachtung und straff der narheyt / blintheyt yrrsal und dorheit / aller ståt / vnd geschlecht der menschen: mit besunderem flyß ernst und arbeyt / gesamlet zů Basell: durch Sebastianum Brant. in beyden rechten doctor.«

Das Narrenschiff besteht aus paarweise gereimten Versen, die in 112 Kapiteln jeweils ein Laster darstellen. Jedem Kapitel ist ein Holzschnitt zugeordnet, der den Inhalt illustriert und mit einem Dreizeiler untertitelt ist, der sich sowohl auf die Illustration als auch auf den Text bezieht und damit eine verbindende Funktion zwischen Text und Bild hat. Auf diese Weise werden die Botschaften in didaktische Einheiten verpackt, die anhand der Illustrationen für jedermann leicht verständlich und identifizierbar sind.

Brants Narren sind ausnahmslos Menschen (Männer wie Frauen, zuweilen auch Kinder), die sich zu sehr den irdischen Freuden und materiellen Wichtigkeiten zuwenden und deshalb, durch ein zu wenig gottgefälliges Leben, ihr Seelenheil verscherzen. Grundlage dieser Darstellung ist die Überzeugung, dass es sieben Charaktereigenschaften gibt, die, gibt man ihnen nach, zu echten Sünden führen. Deshalb gehört zu einem gottgefälligen und damit Seelenheil versprechenden Leben in jedem Fall auch die Abkehr von den Sünde verheißenden Eigenschaften des Hochmuts (superbia), des Geizes (avaritia), des Neids (invidia), des Zorns (ira), der Wollust (luxuria), der Völlerei (gula) und der Trägheit (acedia). Tut der Mensch dies nicht, sondern zieht die vergänglichen irdischen Genüsse und Werte den ewigen (himmlischen) vor, dann handelt er wider besseres Wissen und ist deshalb ein Narr zu nennen, den es, und genau dies tut Brant in seinem Narrenschiff, anzuprangern und bloßzustellen gilt. Zu diesem Zweck bedient sich Brant einer sehr wirkungsvollen und sich wechselseitig ergänzenden Kombination von Bild und Text, die nicht zuletzt dafür sorgt, dass die Botschaften seines Narrenschiffs von allen Bevölkerungsschichten rezipiert werden können. Während die gereimten Texte oft sämtliche Sprachebenen umspannen und durch volkstümliche, zum Teil sogar derbe Ausdrücke, Gemeinplätze, Sprichwörter und Redewendungen sowie das Zitieren von Figuren und Geschichten aus der Bibel oder der antiken Mythologie alle nur denkbaren Leseransprüche bedient, dienen die illustrierenden Holzschnitte, die in aller Regel in einem direkten Bezug zu den ihnen zugeordneten Versen stehen, nicht zuletzt auch der Übermittlung der Botschaften an Analphabeten. Das allseits bekannte und weithin sichtbare äußere Zeichen der Narrheit ist die vor allem die vom Hof- und Fasnachtsnarren übernommene Narrenkappe, die sich quasi leitmotivisch durch fast alle Holzschnitte zieht. Hinzu kommen weitere äußerliche Narrenzeichen wie Schellen, Marotte oder Spiegel. So ausgestattet, sind die Narren im Narrenschiff (der Umkehrung des Kirchenschiffs) versammelt, das sie vom festen Boden eines gottgefälligen Lebens hinwegführt in die Verderbnis ihrer Narrheit - ad Narragoniam.

1.3 Der soziohistorische Kontext

Das Narrenschiff entsteht in der Frühen Renaissance, nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken (1453) und die daraus resultierende Flucht griechischer Gelehrter nach Italien. Es ist auch die Zeit der ersten Entdeckung Amerikas und die Zeit Luthers und der Reformation. In diesem Kontext der Veränderung von bis dahin gültigen Weltbildern wird die didaktische Literatur zur wichtigsten literarischen Strömung, wobei gleichzeitig eine allgemeine Zunahme der Schriftlichkeit zu beobachten ist. Auf diese Weise lässt sich der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit charakterisieren als die Zeit, in der sich die mittelalterlichen Denkmuster mit reformatorischem und humanistischem Gedankengut vermischen. Betrachtet man dazu noch den soziologischen Kontext, in der diese neue Schriftlichkeit entsteht, präsentiert sich die Stadt der Frühen Neuzeit (15./16. Jahrhundert) aus juristischer Sicht als eine Ansiedlung, die Stadtrecht besitzt. Daraus lässt sich allerdings keine Homogeneität ihrer Bewohner ableiten, denn städtisch heißt nicht automatisch bürgerlich; die Stadt besteht aus einer sehr heterogenen Gesellschaft aus verschiedenen Ständen, verschiedenen Einkommensschichten und von verschiedener sozialer Akzeptanz und weist keine verbindende Rechts-, Interessen- oder Wertelage auf. Trotzdem machen sich erste bürgerliche Ansätze bemerkbar, die aufgrund von allgemeinen Bedürfnissen entstehen, die sich aus dem Zusammenleben vieler Menschen ergeben. Für die Erfüllung dieser Bedürfnisse muss die Dachinstanz, die Stadt also, Sorge tragen; es entstehen nicht nur Regeln und Gesetze, sondern auch Instanzen, die auf die Einhaltung dieser Regeln und Gesetze achten. Innerhalb der Gesellschaft entsteht auf diese Weise ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit, gepaart mit dem Bedürfnis nach Rechtsgleichheit und ein Grundbedürfnis nach Ordnung.

Gleichzeitig entwickeln sich neue soziale Prestige- und Wertevorstellungen, die denen des Mittelalters entgegenstehen und die „neue Zeit“ reflektieren. Die wichtigsten dieser neuen Werte sind Sparsamkeit und Bescheidenheit. Gewann der Adlige in früheren Zeiten sein Prestige noch durch einen möglichst verschwenderischen Lebenswandel, so sind jetzt diejenigen angesehen, die mit ihren Mitteln haushalten und langfristig planen und investieren. Nicht zuletzt dadurch erklärt sich auch die Ausweitung der Schriftlichkeit.

Unterschiede in den finanziellen Möglichkeiten sollen nicht mehr offen zur Schau getragen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes „verschleiert“ werden, denn es bilden sich ebenso mannigfaltige Kleiderordnungen heraus, die die gesellschaftliche Stellung jedes einzelnen festlegen, ohne dass deshalb aber Reichtum prunkvoll zur Schau gestellt wird. Doch der Begriff der Bescheidenheit geht weit über diese äußerlichen Zeichen hinaus, denn „Bescheidenheit“ meint ein umfassendes Verständnis der Welt und damit auch das Wissen um das richtige Verhalten darin, angefangen von den ethisch-moralischen Verhaltensregeln bis hin zum Kleiderkodex.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Stadt der Frühen Neuzeit als eine sehr heterogene Ansammlung von vielen verschiedenen Menschen vieler unterschiedlicher gesellschaftlicher Zugehörigkeiten darstellt, die sich der Herausforderung gegenübersieht, diese Zusammenleben für alle befriedigend zu reglementieren. Gleichzeitig weckt der beginnende Einfluss der Renaissance neue Bedürfnisse nach Lebensfreude und Lebensgenuss, die den traditionellen christlichen und den sich daran anschließenden puritanischen Wertvorstellungen entgegenstehen. Dieser Entwicklung, die sich in vielen Aspekten des täglichen Lebens in einen mehr oder weniger deutlichen Verfall der Sitten und Traditionen bemerkbar macht, steht Sebastian Brant sehr ablehnend gegenüber; er appelliert an Vernunft und Einsicht seiner Zeitgenossen und hat dabei nicht nur seine Geschlechtsgenossen im Auge, sondern in gleichem Maße auch die Frauen, denn auch das Verhältnis der Geschlechter ist einem Wandel unterworfen, und so gibt es Gleichberechtigung in diesem Sinne bereits in der Vorrede des Narrenschiffs, denn nicht nur Männer sind Narren, sondern es gibt auch viele Närrinnen, und sogar Mädchen mit Narrenröcken!

1.4 Die Zeitenwende im Verhältnis der Geschlechter

Hatte sich die Ehe im Mittelalter noch vorrangig und ständeübergreifend an wirtschaftlichen Interessen orientiert, wandelt sie sich seit der Reformation zu einem Modell des Zusammenlebens auf der Basis ehelicher Liebe, und die Frau, mittelalterliches Subjekt minderen Rechts (munt: immer der Vormundschaft des Ehemannes oder ihres ältesten männlichen Verwandten unterworfen), entwickelt sich allmählich zu einer vollwertigen gesellschaftlichen Größe. Brants Narrenschiff kann in diesem Sinne als Symptom einer neu aufkommenden bürgerlichen Mentalität gelten, deren prosaischen Haltung in Bezug auf Liebe und Ehe sich in den 112 Kapiteln vielfach widerspiegeln. Das Ende des Mittelalters und der Minne bedeutet grundsätzlich eine Aufwertung der Ehe, und das Modell der höfischen Minne wandelt sich unter dem Einfluss Luthers und der Reformation in das Modell der ehelichen Liebe. Brant erkennt, wie im Folgenden zu sehen sein wird, den grundsätzlichen Wert der Ehe als Stützpfeiler der Gesellschaft und als Kanalisationspunkt des Eros. Zwar findet sich im Narrenschiff keine spezifische Themenbehandlung der Bereiche Liebe, Ehe oder Familie, trotzdem behandeln 16 von 112 Kapiteln diesen Themenbereich Thema, weitere 13 Kapitel enthalten Äußerungen dazu. Diese Kapitel sollen in der vorliegenden Arbeit im Zentrum des Interesses stehen und Antwort geben auf die Frage, wie sich Ehe und Familie im Narrenschiff im Einzelnen darstellen und wie die Beziehungen zwischen Mann und Frau konkret definiert sind.

Den aktuellen Forschungsstand zu dieser Thematik fasst der (leider etwas kurze) Aufsatz von Barbara Lafond (Liebes- und Eheauffassung im Narrenschiff von Sebastian Brant. In: Sébastien Brant, son époque et „la Nef des fols“. Straßburg 1995, S. 61-70) zusammen, der sich mit dem Konzept von Liebe und Ehe beschäftigt, wobei auch sie in ihrer Einleitung feststellt, dass diese Fragestellung in der Forschungsliteratur kaum untersucht worden ist; daran hat sich auch seit dem Straßburger Kolloquium von 1994 nichts geändert. Mit einem hauptsächlich geistesgeschichtlichen Ansatz, unter Berücksichtigung phänomenologischer (die durchgehende Antinomie Narrheit-Weisheit) und soziologischer Zusammenhänge (die Wechselbeziehung zwischen dem Narrenschiff und der zeitgenössischen Rezeption), betrachtet sie Brants Liebes- und Ehekonzept vor dem Hintergrund von Spätmittelalter, Frühhumanismus und Renaissance und kommt zu dem Schluss, dass Brant durch seinen Moralrigorismus als ein Vertreter der mittelalterlichen ordo mundi gesehen werden kann, der sich zwar durch seine Appelle an die Vernunft der Aufwertung der Ehe durch den Frühhumanismus nahekommt, die Ehe selbst aber als moralische Festung im Kampf gegen den Sittenverfall und für das Seelenheil begreift.

Welche Rolle dabei die Geschlechter spielen, soll im Folgenden genauer untersucht werden. Dazu werden zunächst die relevanten Bilder von Mann und Frau und ihres gesellschaftlichen Miteinanders aus den einzelnen Kapitel herausgefiltert, wobei zu berücksichtigen sein wird, dass zwar viele, aber bei weitem nicht alle Aspekte des gemeinsamen Lebens angesprochen werden. Umgekehrt lassen jedoch einige grundlegende Aussagen auch Rückschlüsse auf nicht explizit behandelte Bereiche zu. Auf Basis der auf diese Weise erzielten Ergebnisse wird dann versucht, ein möglichst detailliertes Bild der Beziehungen zwischen den Geschlechtern im gesellschaftlichen Kontext zu entwerfen und Brants Ehe- und Familienideal herauszustellen.

2 Die Darstellung der Geschlechter

2.1 Frauenbilder im Narrenschiff

2.1.1 Klerikale Misogynie

Die misogyne Interpretation des Sündenfalles ist im Mittelalter, und dort vor allem in den klerikalen Kreisen, sehr weit verbreitet und begründet die Minderwertigkeit der Frau. Erstes Indiz für deren Zweitrangigkeit ist die (biblische) Tatsache, dass sie aus Adams Rippe erschaffen wurde. Des weiteren spricht die Verführung Adams durch Eva der Frau eine Unglück bringende Wirkung zu, die mit der allgemeinen These, Frauen seien sexuell gierige Wesen und provozierten die männliche Sexualität und damit die Sünde (solange sich diese Sexualität außerhalb der Ehe abspielt), im Einklang steht. Daneben gelten Frauen als ungehorsam (Eva hat sich Gottes Gebot widersetzt) und als für die Versuchungen des Teufels empfänglich (Eva hört auf die Schlange). Es ergibt sich daraus ein Frauenbild, das die Frauen als minderwertig und gefährlich darstellt, wobei sich der Mann gleichzeitig in einer potentiellen Opferrolle befindet.

Zwar wiederholt sich dieses Frauenbild auch bei Brant in der Gestalt der bösen, wolllüstigen, für den Mann gefährlichen Frau, doch gleichzeitig verlangt Brant, wie wir noch sehen werden, auch vom Mann deutlich mehr Eigenverantwortung, was ihn weniger anfällig für die Versuchungen machen soll. Das Bild der bösen Frau wird kontrastiert mit dem Bild der guten, ehrbaren Frau, die aber deutlich in der Minderheit ist.

Die Gegenüberstellung der beiden Frauentypen findet sich bereits in der Vorrede, in der nach der Darstellung der den Narrenrock tragenden metzen die erber frowen um Verzeihung gebeten werden mit der Versicherung, sie seien nicht gemeint. Darauf wird in dem eigens den bosen wibern gewidmeten 64. Kapitel noch einmal Bezug genommen, denn auch hier nimmt er ausdrücklich die gůtten frowen von seiner Kritik aus.

Bemerkenswert ist an der Vorrede in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass unzüchtiges Verhalten (vfzgeschnytten rœck) und fleischliche Lust (milchmerck nit bedeck) von Anfang an thematisiert und mit animalischen Bildern und Attributen (grosser stier, wilden thier) belegt werden. Diese Verbindung von fleischlicher Lust und Tiermetaphorik findet sich u.a. auch im Holzschnitt zu Kapitel 50 (Von wollust) und in Kapitel 61 (Von dantzen). Damit gelten gerade die Sexualität (außerhalb der Ehe) und das damit verbundene (weibliche) Bewusstsein für den eigenen Körper als sündig und verwerflich, wie an anderen Textstellen noch genauer zu sehen sein wird.

2.1.2 Venus als Sinnbild fleischlicher Lust

Symbol der wolllüstigen und sinnlichen Frau ist Venus, die in Kapitel 13 (!) (Von buolschafft) ausgiebig beschrieben wird. Bereits der Holzschnitt zeigt eine prächtige und mächtige Frau mit wallendem Haar, einem langen Kleid und übergroßen Flügeln. Sie ist umringt von Kuckuck (Gauch), Affe und Esel, von ihrem Sohn Cupido, aber auch vom Tod. Drei Narren hält sie am Narrenseil, einer von ihnen ein Mönch. Fast das ganze Kapitel besteht aus der Aneinanderreihung antiker (Z.1-64) und biblischer (Z.65-76) Beispiele für die schlimmen Folgen der Begierde, die alle von einer schönen Frau handeln, die, bewusst oder unbewusst, die Begierde eines Mannes weckt und damit die Katastrophe auslöst. Damit wird Schönheit in die Nähe der Sünde gerückt; Schönheit und Tugend scheinen unvereinbar und der Wunsch nach Schönheit begründet die Sünde, wie es in Kapitel 26 (von vnnutzem wunschen) formuliert ist: „Wer hübscheyt jm, vnd synem kynd/ Wünschet, der sůcht vrsach zů sünd“.

Belegt wird diese Ansicht mit drei Beispielen entführter und/ oder entehrter Frauen, denen ihr Schicksal erspart geblieben wäre, wären sie nicht so schön gewesen. Schönheit gerät somit zu einem Makel, den es (vor allem vor den Männern) zu verbergen gilt.

Interessant ist hier, dass die in diesem Zusammenhang erwähnte Dina nochmals in Kapitel 92 (Vberhebung der hochfart) (u.a. neben Batseba) als Beispiel für Gefallsucht herhalten muss, wenn unterstellt wird, „Dyna wolt schowen frœmde man/ Bifz vmb jr jungfrowschafft sie kam;“, was interpretatorisch bedenklich ist, denn in der Bibel heißt es dazu: „Dina […] ging aus, um sich die Töchter des Landes anzusehen. Sichem […] erblickte sie; er ergriff sie, legte sich zu ihr und vergewaltigte sie.“

Die Analyse der einzelnen Bibelstellen und der darin vorkommenden Personen ist selbstverständlich nicht Gegenstand dieser Arbeit; es sei an dieser Stelle aber doch der Hinweis gestattet, dass einige dieser biblischen Begebenheiten sinnverzerrt benutzt worden sind, so beispielsweise auch die Geschichten um Judit (vgl. Kapitel 92) und Ester (vgl. Kapitel 33), denen das bewusste Einsetzen ihrer Weiblichkeit, das in der Bibel zur Vermeidung eines Krieges und Rettung eines Volkes geschieht, angelastet wird.

Dem christlichen Ideal von Demut und Bescheidenheit widersprechen auch Gefallsucht und Hoffart, wie es in Kapitel 92 (Vberhebung der hochfart) allgemein thematisiert wird. Das Streben nach Anerkennung und dem eigenen Vorteil wird paraphrasiert mit dem Bild der Schönen vor dem Spiegel: „Glich als eyn nærrin die sich mutzt/ Vnd spieglen důt der welt zů tutz/ So sie uff spannt des tüfels garn/ Vnd macht vil selen zůr hellen farn“. Ein ähnliches Bild in Kapitel 60 (von im selbs wolgefallen) geht allerdings einen Schritt weiter und kritisiert nicht nur die selbstgefälligen Damen, sondern auch diejenigen, die Gefallen an diesen Damen finden.

Schließlich wird das Venus-Bild nochmals in Kapitel 61 (Von dantzen) bemüht, als es über das Tanzen heißt: "Do schleyfft man Venus by der hend/ Do hatt all erberkeyt eyn end,“ und somit Venus mit dem Teufel in Verbindung gebracht wird.

2.1.3 Penelope als Gegenpol zur Venus-Symbolik

Das Gegensymbol zur verführerischen Venus ist die tugendhafte Penelope, Sinnbild der ehelichen Treue und auch der Klugheit, mit der sich die Frau gegen die Aufdringlichkeiten der Männer zur Wehr setzen kann. In zwei Kapiteln wird sie als Vorbild der tugendhaften Ehefrau dargestellt: zum einen in Kapitel 32 (Von frowen huetten), um zu zeigen, dass eine Frau treu sein kann, wenn sie nur will (und wie vergeblich es demnach ist, untreue Frauen zur Treue bringen oder zwingen zu wollen vgl.3.3.2), und in Kapitel 107 (Von lon der wisheit), in dem sie, die eheliche Treue aufrechterhaltend, dem Weg der Weisheit gefolgt ist.

An dieser Stelle lässt sich durchaus Brants Kritik an einer Figur wie Bersabe (Batseba) nachvollziehen, die, nachdem David sie beim Baden gesehen hat und sie daraufhin begehrt, sofort zu ihm geht, statt sich eine List auszudenken wie Penelope, um dem drohenden Ehebruch (und dem damit verbundenen Tod ihres Mannes ) zu entgehen. Eigenverantwortung und Umsichtigkeit werden demnach auch von der Frau verlangt, die sich ihrer Wirkung auf Männer - im demütigen Sinne -durchaus bewusst sein und sich entsprechend zurückhaltend verhalten soll (vgl.2.3).

2.2 Männerexempel im Narrenschiff

2.2.1 Asmodeus und Boas

Analog zu Venus und Penelope finden sich auch männliche Symbolfiguren, die Gut und Böse repräsentieren. Als Eheteufel schlechthin gilt zu Brants Zeiten Asmodeus, der in der Bibel die sieben Ehemänner der Sara tötet, bevor sie mit ihr geschlafen hatten.

Sein Gegenpol ist Boas, jener ehrenhafte Verwandte von Ruts verstorbenem Mann, der ein Grundstück aus dem Besitz des Verstorbenen auslöst und auch Rut, dessen Witwe, zur Frau nimmt. Diese beiden werden in Kapitel 52 (wiben durch gutz willen) gegenübergestellt: „Der tufel Asmodeus hat/ Vil gwalt yetz jnn dem eelichen stat,/ Es sindt gar wenig Boos me/ Die Ruth begeren zů der ee“.

Für die Männer ergibt sich folglich ein ähnliches, wenn auch weniger drastisches Verhältnis zwischen Gut und Böse: die Venusnarren und Ehezerstörer sind eindeutig in der Überzahl, während die ehrbaren Männer eine Minderheit bilden, die es zu schützen gilt.

2.3 Der verantwortungsbewusste Mensch

Bereits in der Vorrede (und weiteren Textstellen) wird auf die Bipolarität Narr - Weiser hingewiesen und auf die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen, sich einer der beiden Gruppen zuzuordnen. Besonders anschaulich wird diese Gegenüberstellung im Gleichnis der fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen, das der Holzschnitt von Kapitel 106 (Ablossung gutter werck) darstellt und das vorausschauendes Denken und Handeln empfiehlt; Unbesonnenheit wird demzufolge im Sinne von Unverantwortlichkeit ausgelegt, so z.B. in Kapitel 12 (Von vnbesinten narren), in dem auch Adam seinen Teil Verantwortung für die Vertreibung aus dem Paradies übernehmen muss, denn „Het sich Adam bedocht vor baß/ Ee dann er von dem appfel aß/ Er wer nit von eym kleynen biß/ Gestossen vß dem Paradiß“. Adam ist damit nicht mehr n u r das Opfer weiblicher Verführung, sondern auch Täter, dem es an Eigenverantwortlichkeit gefehlt hat. Das klassische Bild der Eigenverantwortung, gepaart mit gesundem Menschenverstand, wird in Kapitel 107 (Von lon der wisheit) mit der Parabel von Herkules entworfen, der am Scheideweg steht zwischen Wollust und Tod einerseits und Tugend und ewigem Leben andererseits. Diese Metaphorik umfasst den Rahmen des gesamten Narrenschiffes, denn letztendlich geht es in allen Kapiteln um die Gegenüberstellung von Gut und Böse in verschiedenen Gewändern.

Besonders deutlich wird der Aspekt der Eigenverantwortlichkeit in Kapitel 51 (Heymlicheit verswigen): Das Kapitel beginnt mit der Geschichte von Samson und Delila, in der sie ihm das Geheimnis seiner Stärke entlockt und ihn an seine Feinde verrät. Geht man zunächst von der neuhochdeutschen Fassung der Reclam-Ausgabe aus, so liest man dort: „Der ist ein Narr, wer offenbart/ Der Frau, was er geheim bewahrt“ und könnte daraus interpretieren, dass die Frau als Geheimnisverräterin im Mittelpunkt steht, wie es auch bei Barbara Lafond anklingt, wenn sie schreibt: „Dagegen nennt Brant den einen Narren, der seiner Frau ein Geheimnis offenbart (Kapitel 51)“. Im Original heißt es jedoch: „Der ist eyn narr, der heymlicheyt/ Synr frowen, oder yemans seyt“. Damit ist klar, dass an dieser Stelle die Tatsache des Geheimnisverrats im Vordergrund steht. Zwar wird im weiteren auch die biblische Aussage, Frauen sollten keine Geheimnisse anvertraut werden, erwähnt, doch die Grundaussage des Kapitels kritisiert denjenigen, der ein Geheimnis verrät, egal, an wen. Dafür spricht vor allem auch, dass das Kapitel mit den Worten endet: „Der prophet sprach, jch will alleyn,/ Myn heimlicheyt han, nit gemeyn“.

Dazu ist weiter zu bemerken, dass bei Brant gerade die Schwatzhaftigkeit, eine gemeinhin eher den Frauen zugerechnete Eigenschaft, in Kapitel 19 (Von vil schwetzen) erstaunlich ausführlich den Männern angelastet wird.

Insgesamt steht der bei Brant sehr hervorgehobene Aspekt der Eigenverantwortung in sehr engem Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Umbruch jener Zeit, der den Menschen als Individuum weitaus stärker als bisher in den Mittelpunkt rückt und die althergebrachten, vorgegebenen Verhaltensweisen durchbricht. Die Flut von neuen Anschauungen und Möglichkeiten verlangt daher vom Einzelnen einen bewussten Umgang und bewusste Entscheidung, und damit auch eigenverantwortliches Denken, das Brant aber zu nutzen sucht, um Althergebrachtes zu erhalten und zu verteidigen.

3 Das gesellschaftliche Miteinander

3.1 Der Sittenverfall in der beginnenden Bürgerlichkeit

Die Stadt als sehr heterogene Ansammlung von Menschen und der beginnende Einfluss der Renaissance wecken neue Bedürfnisse nach Lebensfreude und Lebensgenuss, die den traditionellen christlichen und den sich daran anschließenden puritanischen Wertvorstellungen entgegenstehen. Brant sieht in vielen Aspekten des täglichen Lebens einen Verfall der Sitten, den er nicht nur ablehnt, sondern von dem er sich auch bedroht fühlen muss, denn Narren und Närrinnen, die dem dekadenten Treiben folgen, scheinen weit in der Überzahl. Umso wichtiger ist es, dieser Entwicklung, die nichts anderes bedeutet als das Infragestellen der traditionellen ordo mundi, entgegenzuwirken, um das Traditionelle zu erhalten. Multiplikator dieser konservativen Bestrebungen wird die Familie sein, wie wir in den entsprechenden Abschnitten sehen werden.

3.1.1 Unzüchtige Kleidung

Die christlichen Werte von Züchtigkeit, Reinheit und Bescheidenheit werden durch die immer neu aufkommenden Moden und modischen Unarten untergraben, wie es Brant in Kapitel 4 (Von nuwen funden) beschreibt, nicht ohne gleichzeitig auf die Beeinflussbarkeit der Menschen und das fehlende Eingreifen der Obrigkeit (vgl. 3.2) hinzuweisen. Allein die Empfänglichkeit für unsinnige, sündige oder unhygienische Modediktate macht aus einem eigenverantwortlichen Menschen einen Narren, wie auch das Bestreben, durch Kleidung mehr sein zu wollen, als man tatsächlich ist, wie es in Kapitel 82 (von burschen uffgang) vor allem den niederen Schichten, und dabei explizit den Bauern, angelastet wird.

Auch beim Fastnachtstreiben (Kapitel 110b: Von fasnacht narren) wird ein weiteres Mal an die Pflicht der Frauen zum züchtigen Bedecken gemahnt, um die sexuelle Begierde des Mannes nicht zu wecken („Die frowen went sich vngern decken/ Reytzen do mitt die man vnd knaben“). Die neuen Kleidervorlieben bedeuten somit das äußerlich sichtbare Zeichen der Abwendung von Gott und einem gottgefälligen Leben, in Form von zur Schau getragener Weiblichkeit, oberflächlichem Modebewusstsein oder unstandesgemäßer Kleidung.

3.1.2 Irdische Vergnügungen

Ähnlich sieht Brant auch die irdischen Vergnügungen, die vom rechten Weg ablenken. Kapitel 50 (Von wollust) verbindet metaphorisch die irdische Lust mit der Venussymbolik, wenn es gleich zu Beginn heißt: „Wollust der welt, die glychet sich/ Eym üppigen wib, die offentlich/ Stitz vff der straß vnd schrygt sich uß/ Das yederman kum jnn jr huß“. Der dazugehörige Holzschnitt erinnert auffallend an den von Kapitel 13 (von buolschaft): auf beiden Bildern ist eine Frau zu sehen, die verschiedene Menschen bzw. Tiere an Seilen hält.

Was für irdische Vergnügungen im allgemeinen gilt, nämlich ihre Oberflächlichkeit, Vergänglichkeit und Anzüglichkeit, gilt im besonderen für das Tanzen, das als Inbegriff der Sündhaftigkeit (der Tanz um das Goldene Kalb) erscheint, wie es in Kapitel 61 (Von dantzen) anschaulich dargelegt ist. Tanzen ist teuflische Verführung und Quelle der Sünde, denn: „Vß dantzen vil vnratts entspringt/ Do ist hochfart, vnd üppigkeyt/ Vnd für louff der vnlutterkeyt/ Do schleyfft man Venus by der hend/ Do hatt all erberkeyt eyn end,“. Der ehrbare Mensch meidet also den Tanz und auch die Fastnacht (Kapitel 110b: Von fasnacht narren), die, als weiteres Teufelswerk (der tüfel hat das spiel erdacht), ebenso Anlass zu sündigem Verhalten gibt.

Auffällig ist, dass das Fastnachtstreiben rein didaktisch-kritisch betrachtet wird; der Aspekt der Verkehrten Welt bleibt an dieser Stelle völlig unberücksichtigt. Überhaupt fehlt jede Konzession an das Recht des Menschen auf Sozialleben und Entspannung von der Arbeit, denn es wird an keiner Stelle differenziert zwischen maßvollem und übertriebenem Umgang mit diesen Vergnügungen.

Auch der soziale Aspekt – das entspannte Miteinander, das Sich-Austauschen und auch das Sich-Kennenlernen, besonders der Jüngeren (und damit auch der zukünftigen Ehepartner) – bleibt völlig unberücksichtigt. Damit werden diese irdischen Vergnügungen zu den sichtbaren Zeichen des Sittenverfalls und zu einem Sündenpfuhl des Teufels, dem man nur durch konsequente Abstinenz entgehen kann.

3.1.3 Vergänglichkeit

Die Vergänglichkeit der Dinge wird an zahlreichen Textstellen dargestellt und ist zentrales Thema bei Brant, der immer bemüht ist, die immerwährenden (traditionell christlichen) Werte den vergänglichen gegenüberzustellen. Damit weist er nicht nur auf die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz hin, sondern kontrastiert sie auch mit der einzigen Möglichkeit zu deren Überwindung, nämlich in Form eines gottgefälligen Lebens, das allein die Ewigkeit verspricht.

Kapitel 26 (von unnutzem wunschen) kommentiert genau diese Vergänglichkeiten, die sich offenbar viele seiner Zeitgenossen wünschen. Dazu gehören: ein langes Leben (nur Gott allein hat über die Verweildauer eines Menschen auf Erden zu verfügen), Schönheit (der Wunsch nach Schönheit beinhaltet auch gleichzeitig die Bereitschaft zur Sünde, vgl.2.1.2) oder Wohlstand. All diese Wünsche machen deutlich, dass der Wunsch nach einem angenehmeren irdischen Leben im Vordergrund steht, dass die weltliche Existenz bewusster wahrgenommen wird und dadurch auch entsprechend geschmückt werden soll mit irdischen Attributen, die zwar vergänglich sind, gleichzeitig aber auch gerade von Vergänglichkeit und Tod ablenken.

Demut vor dem göttlichen Willen und Anerkennung der göttlichen Allmacht sind die Haltungen, die Brant diesen Wünschen gegenüberstellt in dem Bestreben, die Vergänglichkeit der Welt nicht aus dem Bewusstsein der Menschen verdrängen zu lassen. Seine Zweiteilung der menschlichen Existenz in Körper (das Vergängliche) und Seele (das Beständige) wird in Kapitel 85 (Nit fursehen den dot) deutlich gemacht, wenn es heißt: „Dar vmb sint wir groß narreht doren/ Das wir nit gdencken jnn vil joren/ Die vns gott dar vmb leben lott/ Dar wir vns rüsten zů dem dot“. An dieser Stelle wird deutlich, dass das Leben als Vorbereitung für den Tod zu sehen ist und dass deshalb Seelenheil wichtiger ist als irdische Freuden, denn die Seele soll in Ewigkeit leben, während der Körper nach dem Tod zu Staub zerfällt. Die Grundverblendung seiner Zeitgenossen scheint für Brant denn auch in der Tatsache begründet zu sein, „Das wir der sel, nit næmen war/ Des libs wir sorgen yemer dar“. Dieser Entwicklung muss (bis hin zur Umkehr) entgegengewirkt werden, denn „Wer wol styrbt, des grab ist des hœhst,/ Der sünder dot, der ist der bœsst“.

All diese Versuchungen verlangen, so scheint es, vom Individuum höchste Konsequenz und Prinzipientreue und stete Wachsamkeit, will es sich nicht vom rechten Wege abbringen lassen.

3.2 Die Rolle der Obrigkeit

Als verantwortungsbewusster Mensch verlangt Brant die Konsequenz und (wohlmeinende) Strenge, die nach seinem Dafürhalten ein gutes Familienoberhaupt auszeichnet (vgl. Kapitel 6: von ler der kinder und 3.4.2) auch im übergeordneten Kontext von den Obrigkeiten gegenüber ihren Bürgern. Vorbild ist hierfür wohl die Kirche, die gegenüber den Gläubigen traditionell einen detaillierten Verhaltenskodex fordert, dessen Einhaltung überwacht und Verstöße bestraft. Im Zuge eines allgemeinen Sittenverfalls wird aber auch die Obrigkeit diesen Aufgaben nicht immer mit aller Konsequenz gerecht, und es gilt ganz allgemein der Grundsatz: „Vnd wenn der appt die würffel leydt/ So sint die münch zům spiel bereit“.

Weitere Stellen finden sich in Kapitel 4 (Von nuwen funden), wo es in Bezug auf die verwerflichen Modeerscheinungen heißt: „We dem ouch der solch schand nit strofft/ Im wurt zů lon das er nit hofft“, oder in Kapitel 33 (Von eebruch), in dem Brant die offenbar sehr großzügige Handhabung des Ehebruchsgesetz des Kaisers Augustus (Lex Iulia de adulterio) von seiten der Gesetzeshüter anprangert, was denn auch eine Verschlechterung der ehelichen Zustände zur Folge hat, denn „Man vœrht keyn pen noch stroff yetz me/ Das schafft das sie synt jn der ee/ Zerbrechen krůg vnd hæfen glich“. Daraus ergeben sich zwei Grundsätze: den der Hierarchie und den von Strenge und Strafe.

Der Grundsatz der gesellschaftlichen Hierarchie bekräftigt zum einen die Vorbildfunktion der Obrigkeit und definiert zum anderen die Familie als kleinste gesellschaftliche Zelle, die aber nach den gleichen hierarchischen Regeln funktioniert wie Staat und Gesellschaft selbst. Lässt es nun die Vorbild- und Überwachungsebene an Strenge und Konsequenz mangeln, wirkt sich dies auch entsprechend negativ auf die untergeordneten Einheiten und letztendlich auch auf die Familie aus. Will umgekehrt die Familie diesen Ordnungsprinzipien voll und ganz entsprechen, so ist sie auf die Einhaltung und Durchsetzung eben dieser Prinzipien auch an höchster Stelle angewiesen.

Und diese Einhaltung und Durchsetzung von Ordnung muss, so der Jurist, auch mit Strenge und Bestrafung erfolgen, denn wo keine Strafe, da auch keine Furcht, und wo keine Furcht, da auch keine Disziplin, denn der Mensch ist von Natur aus schwach – wie Adam und Eva im Paradies. Es ist unter diesem Aspekt alles andere als verwunderlich, dass die allermeisten Bibelzitate aus dem Alten Testament stammen, denn der dort herrschende Richter- und Rächergott – im Gegensatz zum gnädigen und milden neutestamentlichen Gott – verbreitet Furcht und verhängt harte Strafen unter den Menschen, die sich seiner Ordnung nicht unterwerfen. Dass sich diese grundsätzliche Haltung auch in der Kindererziehung widerspiegelt, wird an der entsprechenden Stelle noch genauer betrachtet.

3.3 Die Ehe

3.3.1 Sinn und Zweck der Ehe

Die Ehe ist, im idealen Sinne Brants, eine Lebensgemeinschaft zweier Menschen, die beide die christlichen Werte vertreten, sie selbst leben und dann an ihre Kinder weitergeben. Die (zukünftigen) Eltern müssen sich, bevor sie den Kindern ein Vorbild sein können, auch gegenseitig in Achtung und Ehrlichkeit zugetan sein. Dass eine Ehe den Zweck der Familiengründung, und damit auch den des Weitergebens von materiellen und spirituellen Werten hat, lässt sich an einigen Textstellen ableiten, so z.B. aus Kapitel 52 (wiben durch gutz willen), wo es über die Ehe mit einer alten Frau heißt: „Er hatt ouch wenig freüd dar von/ Keyn frůcht mag jm dar vß entston“, oder aus Kapitel 67 (Nitt wellen eyn nar syn), in dem es im Zusammenhang mit gierig angehäuftem Reichtum heißt: „Vil sint alleyn, di hant keyn kynd/ […] Noch gdencke nit, wem werck ich vor/ Hab übelzyt ich gouch und tor“.

3.3.2 Ehebruch

Dieses Thema klingt in mehreren Kapiteln mehr oder minder deutlich an (z.B. Kapitel 13 (von buolschafft), 50 (von wollust), 61 (von dantzen), 62 (von nachtes hofieren), Kapitel 77 (Von Spylern) oder 110b (Von fasnacht narren)) und wird in Kapitel 32 (Von frowen huetten) vorbereitet, indem bereits diejenigen Frauen vorgestellt werden, die potentielle Ehebrecherinnen sind, bis dann Kapitel 33 (Von eebruch) das Übel beim Namen nennt.

Ehebruch wird damit zu einem zentralen Thema und umfasst den gesamten Komplex von Sinnlichkeit und Sexualität außerhalb der Ehe, bei dem sich der Mensch – der Mann eher als Opfer, die Frau eher als Täterin – seiner Triebhaftigkeit ausgeliefert sieht, die ihn den Tieren ähnlich macht (vgl. die bereits erwähnte Tiermetaphorik). Die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier scheint darin zu bestehen, dass der Mensch seine Fortpflanzung bewusst in seine Lebensplanung (und somit ausschließlich nur in seine Ehe) mit einbezieht und folglich auf die rein sexuelle Triebbefriedigung verzichtet. Damit beschränkt sich Sexualität für Brant auf den ehelichen Verkehr zur Kinderzeugung; alles, was darüber hinausgeht, ist unsittlich und animalisch.

Interessanterweise enthält der Holzschnitt von Kapitel 32 gleich mehrere Sprichwörter, die alle für Sinnlosigkeit stehen und so verweist bereits das Bild auf die Kernaussage des Kapitels, nämlich auf die Sinnlosigkeit der Bemühung, eine Frau, die von sich aus nicht treu sein will, zur ehelichen Treue zwingen zu wollen. Daraus ergibt sich, sowohl im Holzschnitt als auch im Text, eine Art (destruktives) Machtspiel zwischen Mann und Frau, bei dem es vielmehr darum geht, herauszufinden, wer sich letztendlich durchsetzt, als darum, die vorhandenen Lebensenergien (konstruktiv) in eine beiderseits befriedigende Partnerschaft zu investieren. Selbstverständlich werden in diesem Kapitel auch die Männer kritisiert, doch sie vielmehr deshalb, weil sie sich überhaupt auf eine solche Frau einlassen und weder Umsichtigkeit noch Eigenverantwortung bei der Wahl ihrer Partnerin bewiesen haben.

Im gleichen Kapitel 32 findet sich aber auch das Verhaltensmuster der ehrbaren Frau, die sich immer so verhält, dass zweifelhafte Situationen gar nicht erst entstehen können, und das bedeutet konkret: „Eyn frome frow sol haben gberd/ Ir ougen schlagen zů der erd/ Vnd nit hoffwort mit yedermann/ Tryben, vnd yeden gæfflen an/ Noch hœren alles das man jr seitt,/ Vil kuppler gont ju schoffes kleydt“. Eine Frau, die sich so züchtig und zurückhaltend verhält, verdient es, von ihrem Mann freundlich und respektvoll behandelt zu werden, damit sie keinen Grund hat, ihr Verhalten zu ändern und vielleicht außerhalb der Ehe die Aufmerksamkeit zu suchen, die ihr bei ihrem eigenen Mann fehlt.

Umgekehrt hat der Mann natürlich auch die Pflicht, etwaige Verfehlungen zu ahnden, will er sich nicht auf die gleiche sündige Stufe stellen wie die Sünderin. Der im Sechsten Gebot verbotene Ehebruch wird auch in dem Sinne der Frau zugerechnet, dass es verwerflich ist, wenn sie aus Nachlässigkeit die Begierde des Mannes weckt, wie es einst Batseba getan hat, als sie zum Baden ging und dabei von David gesehen wurde. Die züchtige und ehrbare Frau begibt sich also gar nicht erst in eine solche Situation, und der ehrbare Mann achtet darauf, dass sich seine Frau züchtig und ehrbar verhält. Gleichzeitig beschützt er sie aber auch aktiv vor diesen Gefahren, indem er beispielsweise nicht zu vertrauensselig ist und zu viele (oder die falschen) Gäste in sein Haus bittet.

Doch Schutz der Frau bedeutet auch demütiges Verhalten von Seiten des Mannes, denn: „Wer zücht syn frow eym andern vor/ Der ist eyn narr, gouch, esel, thor“. Damit trägt der Mann seinen Teil Verantwortung an der Ehrbarkeit seiner Frau und übt die gleiche Schutz- und Kontrollfunktion aus, die sich Brant auch von der Obrigkeit wünscht (vgl. 3.2).

Der Ehebruch als Einzelereignis entehrt also sowohl denjenigen, der die Ehe bricht als auch denjenigen, der dies Vergehen duldet. Zwar drängt sich, vor allem durch Kapitel 32 (Von frowen huetten), der Eindruck auf, dass Ehebruch grundsätzlich von Frauen begangen wird, doch ist hierbei zu berücksichtigen, dass ja der Mann eine Vorbild- und Kontrollfunktion der Frau gegenüber hat. Dies bedeutet zum einen, dass er in punkto ehelicher Treue mit gutem Beispiel vorangehen muss und zum anderen, dass er gerade in dem soeben erwähnten Kapitel 32 im Grunde genommen den gutgemeinten Ratschlag bekommt, bei der Wahl seiner Partnerin entsprechend umsichtig zu sein. Im abstrakten Sinn reflektiert der Ehebruch als gesellschaftliches Phänomen und der großzügige Umgang damit den Sitten- und Werteverfall der frühbürgerlichen Gesellschaft, der sich durch alle Hierarchieebenen hindurch bemerkbar macht (vgl. 3.2).

3.3.3 Ehe aufgrund materieller Interessen

Verwerflich ist eine Ehe, wenn sie ausschließlich auf materiellen Interessen begründet ist, denn diese ist nicht von Gott, sondern von (habgierigen) Menschen zusammengefügt und steht damit einem gottgefälligen Zusammenleben entgegen. In dem diesem Thema gewidmetem Kapitel 52 (wiben durch gutz willen) wird denn auch dargelegt, wie eine aus niederen Beweggründen geschlossene Ehe alles andere als Glück und Zufriedenheit verheißt. Das Kapitel schließt mit der durch Brant fast sprichwörtlich gewordenen Formel für den ehelichen Unfrieden (criminor te, kratznor a te), die auch im Kapitel 33 (Von eebruch), in abgewandelter, deutscher Fassung (Vnd kratz du mich, so kratz ich dich/ Vnd schwig du mir, so schwig ich dir) erscheint und in beiden Fällen das Unehrliche und Unehrenhafte einer solchen Beziehung meint.

Kapitel 17 (Von vnnutzem richtum) verurteilt die Bewertung eines Ehekandidaten nach dessen materiellem Vermögen; eine ähnliche Kritik klingt in Kapitel 76 (Von grossem ruemen) an, in dem auf Heirat aus Gründen des sozialen Aufstieges angespielt wird.

Damit fehlt diesem Ehemodell ein wesentlicher Bestandteil, nämlich die menschliche, soziale und gesellschaftliche Komponente. Brants Ehemodell ist somit nicht mehr hauptsächlich eine Verbindung auf der Basis wirtschaftlicher (eigennütziger) Interessen, sondern rückt den menschlichen Aspekt (Zuneigung, Vertrauen und das gemeinschaftliche Vertreten moralischer und gesellschaftlicher Werte) an eine mindestens gleichwertige, wenn nicht sogar übergeordnete Position, was der Bedeutung der Ehe (und konsequenterweise auch der Familie) als wesentlicher Stützpfeiler der Gesellschaft Rechnung trägt und die Ehe gesellschaftlich aufwertet. Zwar beschränkt sich der emotionale Kanon bei Brant noch auf Freundschaft, Vertrauen und gegenseitigen Respekt, zieht also eine reine Liebesheirat nicht in Betracht, doch besteht er auf der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit der Gefühle, denn eine falsch lieb, vor der man/ frau sich vorzusehen hat, gibt es dennoch, wie die Kapitel 50 (Von wollust) und 102 (von falsch vnd beschiss) belegen.

3.4 Die Familie

3.4.1 Familiäre Hierarchie und Rollenverteilung

Der Mensch, und insbesondere der Mann, trägt eine Verantwortung innerhalb der Gesellschaft, der er zum einen mit rechtschaffender Arbeit, zum anderen mit einer ehrbaren Familie Rechnung trägt. In der familiären Hierarchie steht der Mann an erster Stelle und ist damit nicht nur für seine Kinder, sondern auch für seine Frau verantwortlich, wie es Kapitel 49 (Bos exempel der eltern) beschreibt: „Kynd, frowen, leren wort vnd gberd/ die frowen das von mannen hand/ die kynd von eltern nemen schand (…) Man findt leyder keyn zůcht, noch ere/ die vætter sint schuldig dar an/ die frow die lert von jrem man“.

Die Rollenverteilung innerhalb der Familie ist damit auch festgelegt: während der Mann die Verbindung zwischen Familie und Gesellschaft darstellt, die Familie in der Gesellschaft repräsentiert und durch seinen Beruf und seine öffentlichen Geschäfte aktiver Teil dieser Gesellschaft ist, ist die Frau mit all ihren Aufgaben an den heimischen Umkreis gebunden und tritt nur selten als Einzelwesen in der Öffentlichkeit auf. Tut sie es dennoch, so verletzt sie damit die vorgegebenen Rollen, wie in Kapitel 77 (Von Spylern) deutlich gemacht wird: „Vil frowen di sint ouch so blindt/ Das sie vergessen wer sie sint/ Vnd das verbietten alle recht/ Sollich vermyschung beider gschlecht/ Die mit den mannen sytzen zamen/ Ir zůcht, vnd gschlechtes sich nit schamē/ Vnd spyelen, rasslen, spat, vnd frů/ Das doch den frowen nit stat zů/ Sie soltten an der kunckel læcken/ Vnd nit jm spyel byn mannen stæcken“. Aufgrund des bereits Erwähnten ist klar, dass sowohl der ehrbare Mann als auch die ehrbare Frau den Standpunkt vertreten müssen, die Frau habe sich so wenig wie möglich, und vor allem nicht alleine, in der Öffentlichkeit zu zeigen, denn dies widerspräche dem Schutz- und Kontrollprinzip und würde die Frau auch den Aufdringlichkeiten fremder Männer aussetzen, wie es auch auf dem Holzschnitt zu diesem Kapitel angedeutet ist. Die familiäre Hierarchie baut demnach darauf auf, dass beide Elternteile ihre jeweiligen „Untergebenen“ zu deren eigenem Wohl kontrollieren und beschützen und konsequenterweise auch begangene Verfehlungen bestrafen.

3.4.2 Kindererziehung

Die Kindererziehung obliegt zwar im heimischen Umfeld der Frau, doch da diese auch dem Mann unterstellt ist, hat die Kindererziehung im Einklang mit dessen Prinzipien zu erfolgen. Welche Prinzipien dies sein sollen, können wir Kapitel 6 (Von ler der kind), entnehmen, in dem es heißt: „Dann anfang, mittel, end, der ere/ Entspringt allein uß gůter lere“ und, nach einem Exkurs über Zufälligkeit und Vergänglichkeit, nochmals „Dar vmb ist nützt undœttlich mer/ Vnd bliblich by vns dann die ler“. Gute Erziehung kann demnach nur auf den unvergänglichen (christlichen) Werten aufbauen und darf sich nicht blenden lassen von Vergänglichem (wie Ruhm, Schönheit, Gesundheit) und Zufälligem (wie ein angeborener Adelstitel oder Reichtum). Um diese Werte zu vermitteln, sind auch elterliche Strenge, Strafe und Züchtigung vonnöten, denn „Eyn vatter strofft offt synen sůn/ Das er vorcht hab, vnd recht ler tůn“.

Strenge und Zucht zum Wohl der Kinder sind also die hier gemeinten Erziehungsprinzipien, wie sie auch dem Alten Testament entsprechen. Damit steht Brant in der konservativen Erziehungstradition; eine gewaltfreie, auf Liebe und Sanftmut aufbauende Erziehung, wie sie beispielsweise Johann Gerson oder auch Plutarch proklamiert, scheint ihm nicht ausreichend, seine Kinder vor den Übeln der Zeit zu schützen. Übrigens wird die Frau von derlei Züchtigungen ebenfalls nicht ausgenommen.

Gemäß der Rollenverteilung der Geschlechter müssen Söhne und Töchter auch unterschiedlich erzogen werden, wobei Vater und Mutter die entsprechenden Vorbilder sind, was wiederum die Integrität der Eltern voraussetzt. Diese geschlechterspezifische Erziehung wird zwar nicht explizit angesprochen, doch verweist Kapitel 49 (Bos exempel der eltern) auf die geschlechtsabhängige Identifikation von Söhnen und Töchtern.

Dass zu diesen Prinzipien auch, nach dem Vierten Gebot, der Respekt vor den Eltern gehört, zeigt sich in Kapitel 90 (Ere vatter vnd mutter). Darin wird vor einem zu großzügigen und selbstlosen Umgang mit den eigenen Kindern gewarnt, um den Respekt der Kinder zu den Eltern zu wahren. Biblisches Vorbild ist hier die Geschichte von Noah und seinen drei Söhnen, von denen sich einer den anderen beiden gegenüber über seinen Vater, der betrunken und nackt im Zelt liegt, lustig macht, worauf seine beiden Brüder ein Tuch nehmen und den Vater bedecken.

4 Zusammenfassung

Aus den untersuchten Textstellen ergibt sich zunächst ein Brantscher Kanon von Grundwerten und Grundprinzipien, auf denen sein Verständnis von der Beziehung zwischen den Geschlechtern, von Ehe und Familie aufbaut.

An oberster Stelle steht dabei die Unterscheidung zwischen Vergänglichem und Beständigem und, daraus folgend, die Festlegung dessen, was wichtig ist im Leben. Ähnlich der Apostellehre zeigt auch Brant zwei Wege auf, von denen der eine über die traditionellen christlichen Prinzipien zum ewigen Leben und damit zu Gott führt, der andere aber, trotz aller irdischen Freuden, durch die Vergänglichkeit den Tod mit sich bringt. Brants Gottesbild ist dabei in den zentralen Zügen das des alttestamentarischen Rächergottes, der David für sein Vergehen mit dem Tod seines Sohnes büßen lässt, daher fordert er auch härteres Durchgreifen von Seiten der Obrigkeit, wenn es um die Beachtung der Gesetze geht (vgl. Kapitel 33: Lex juliana de adulterio)

Entsprechend muss auch die Gesellschaft eine hierarchische sein, die idealiter den Weg des Lebens vertritt und auf die Einhaltung der dazu notwendigen Prinzipien achtet. Die Familie bildet dabei die kleinste Einheit einer solchen Gesellschaft und hat den gleichen Regeln zu folgen, einschließlich der Hierarchie, die sich in der Rangfolge Vater, Mutter, Kinder widerspiegelt.

4.1 Das Frauenbild bei Brant

Die Frau ist aus Adams Rippe erschaffen und deshalb zweitrangig. Aus der Interpretation des Sündenfalles ergibt sich, dass die Frau empfänglicher ist für die Versuchungen des Teufels als der Mann, denn die Schlange verführt Eva, nicht Adam, demnach ist die Frau die Unglücksbringerin für den Mann. Die Frau muss also einer strengeren Kontrolle unterliegen als der Mann, deshalb ist sie dem Manne untertan.

Von den beiden bei Brant unterschiedenen Frauentypen, der (eher seltenen) guten und ehrbaren Frau (erber frow) und der bösen, zänkischen, triebhaften und hinterlistigen (zorn/ wähes/ böses wib), wird der erste diese Unterordnung akzeptieren, der zweite sich aber dagegen auflehnen und bedeutet somit eine Gefahr, die es zu meiden gilt.

Die gute, ehrbare Frau hingegen soll als Ehefrau und Mutter dazu beitragen, die christlichen Werte eines gottgefälligen Lebens an ihre Kinder und damit auch an die Gesellschaft weiterzugeben. In der familiären Hierarchie steht sie zwischen Mann und Kindern. Ihr ist das heimische Umfeld vorbehalten, in dem sie sich verantwortungsbewusst bewegt und gleichzeitig potentielle Gefahren, die sich aus ihrer Eigenschaft als Frau ergeben, meidet. In der Öffentlichkeit tritt sie nur an der Seite des Mannes auf. Sie kleidet sich züchtig, verhält sich zurückhaltend und verkehrt nur mit anderen Frauen, nicht aber mit Männern. Ihre Kinder, vor allem ihre Tochter, erzieht sie nach den gleichen Prinzipien, in vollem Bewusstsein ihrer Bedeutung für die Gesellschaft.

4.2 Das Männerbild bei Brant

Der Mann stellt sich dar als permanenten Versuchungen (vor allem durch die Frau) ausgesetzt, gegen die er sich zu wehren hat, wenn er kein Narr sein will.

Gleichzeitig ist der Mann das Oberhaupt der Familie und hat damit Vorbild- und Erziehungsfunktion seiner Frau und seinen Kindern gegenüber, die er zu rechtschaffenden Mitgliedern der frühbürgerlichen Gesellschaft machen soll. Er bewegt sich alleine oder mit seiner Familie in der Öffentlichkeit und ist damit wesentlich mehr Gefahren ausgesetzt als die Frau, die sich hauptsächlich zuhause aufhält. Angesichts der ihn umgebenden Gefahren wird vom Mann ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit verlangt, was ihn aus seiner Opferrolle heraushebt und ihn mitverantwortlich macht für etwaige Verfehlungen, seien es nun seine eigenen oder die seiner Frau und/oder seiner Kinder. Der ideale Mann stellt sich somit dar als von klaren Prinzipien und Ansichten geleitet, die er sowohl im öffentlichen wie im privaten Leben vertritt und selbst lebt, und die ihm als wirksames Schutzschild dienen gegen die von allen Seiten auf ihn einströmenden Gefahren.

4.3 Die Beziehung zwischen Mann und Frau

Voraussetzung für eine den Staat und die Gesellschaft unterstützende Ehe ist diejenige Beziehung zwischen Mann und Frau, in der beide Seiten die gleichen ehrbaren Werte vertreten und später auch ihren Kindern vorleben, die dadurch ebenfalls zu ehrbaren Menschen werden. Dabei wird vom Mann, im Zuge der so oft angesprochenen Eigenverantwortung, auch die entsprechende Umsicht bei der Wahl der Partnerin verlangt, und von der Frau ein deutlich bewusster Umgang mit sich und den Gefahren, die sich aus ihrer Eigenschaft als Frau ergeben. Die Unterordnung der Frau bleibt dabei (zu ihrem eigenen Schutz) bestehen, der Mann hat damit nicht nur die Verantwortung für sich selbst, sondern auch für seine Frau und seine Kinder. Dabei ist dieses „Untergebenenverhältnis“ nicht auf eine reine Machtausübung reduziert, sondern meint durchaus einen respektvollen und freundlichen Umgang von Seiten des Mannes, der Strenge und Bestrafung nur dann anwendet, wenn diese Prinzipien bedroht sind.

Werden diese strengen Verhaltensregeln nicht in jedem Moment und von beiden Partner beachtet, kommt es zu Beziehungen, die Brant verwerflich nennt, wie etwa außereheliche Beziehungen und käufliche Liebe, Heirat aufgrund materieller Interessen oder auch das Nachlassen der männlichen Aufsichtspflicht gegenüber der Frau, die auf diese Weise, mangels entsprechender Führung, schnell die typisch negativ-weiblichen Eigenschaften annehmen kann.

4.4 Brants Sicht der Ehe

Die Ehe, als Stützpfeiler der Gesellschaft, bedeutet eine Konzession an die menschliche Schwäche im Gegensatz zum Ideal des klösterlichen Lebens und erfüllt zwei ganz grundsätzliche, der Gesellschaft sehr zuträgliche Funktionen: die procreatio prolis (Kinderzeugung) und die evitatio fornicationis (Vermeidung sinnlicher Begierden durch Kanalisation des Eros in der Ehe). Als kleinste gesellschaftliche Einheit spiegelt diese Lebensgemeinschaft Staat und Gesellschaft wider und funktioniert nach den gleichen Regeln von Hierarchie, Zucht und Strenge und damit auch als Multiplikator innerhalb der Gesellschaft.

Zwar ist nirgendwo von einer Heirat aus Liebe die Rede, doch die Ehe aus rein wirtschaftlichen Interessen wird explizit getadelt; somit beinhaltet Brants Ehemodell eine wichtige menschliche Komponente und basiert auf einer gegenseitigen Sympathie, auf Freundschaft, Vertrauen und Respekt. Entsprechend dem Status des Ehemannes als Oberhaupt der Familie bekommt dieser Ratschläge für richtiges Verhalten (Kapitel 33), das dann seine Frau und seine Kinder von ihm lernen können.

5 Schlussbetrachtung

Zusammenfassend, und über die Mann-Frau-Beziehung hinaus, zeigt sich eine deutliche Einteilung in „Gut“ und Böse“, paraphrasierbar mit den Begriffen „gottgefällig“ und „irdisch“ (mit der Konnotation „teuflisch“), wie sie auch die Apostellehre (Didache) mit der Gegenüberstellung des Weg des Lebens, wonach ein irdisches Leben nach den göttlichen Geboten die Vorbereitung für das Seelenheil darstellt, und des Weg des Todes, der eben dieses Seelenheil durch die Überbewertung der irdischen Freuden unmöglich macht, beschreibt. In jedem Fall aber hat der Mensch die Wahl zwischen einem gottgefälligen Leben, das ihn auf die Ewigkeit mit Gott vorbereitet, und einem irdischen Leben abseits der göttlichen Gebote.

In diesem Sinne stellt Brant durchgängig der Narrheit die Weisheit gegenüber, wobei Weisheit in diesem Zusammenhang die bewusste Erkenntnis bedeutet, Gottes Gebote anzuerkennen und ihnen zu folgen. Dabei bedient er sich zum einen den traditionellen Lehren als Wertekanon, andererseits aber auch dem neuzeitlichen Konzept von Eigenverantwortung und individuellem Denken als Tribut an eine Gesellschaft, in der es viele neue Möglichkeiten und Impulse gibt. Ihm ist nicht nur wichtig, dass die christliche Lehre befolgt wird, sondern auch, dass der Mensch diese bewusst vertritt und gegen die neuzeitlichen Gefahren verteidigt. Kompromisse gibt es dabei allerdings keine – der Mensch wird vor die Entscheidung gestellt, entweder Weiser zu sein oder Narr, tertium non datur.