Ausführliche Biographie Wolfgang Borchert (1921 – 1947) (Seite 7)

„Unsere Führung hat uns luftige und helle Wohnungen versprochen ...“
Wieder in Haft

Im Frühjahr 1943 wird Wolfgang Borchert (nach kurzen Zwischenstationen in Radom und Minsk) in die Heimat abtransportiert. Im März befindet er sich im Lazarett Elend (Harz); im August in Jena. Während eines Urlaubs in seiner Heimatstadt Hamburg tritt er in einem Kabarett im „Bronzekeller“ auf. Anschließend hält er sich in Jena, dann in Kassel-Wilhelmshöhe auf, bei einer Durchgangskompanie.

Doch die Fieberanfälle kehren zurück; seine Leber ist nicht in Ordnung. Er wird als dienstuntauglich eingestuft – und eine wirklich frohe Botschaft: Borchert soll für ein Fronttheater abgestellt werden.

Einen Tag vor der Entlassung gehen wieder die „Gäule“ mit ihm durch, sprich seine Frechheit und Chuzpe: In einer Art Abschiedsvorstellung parodiert er den Reichsminister Goebbels, in der Hindenburg-Kaserne auf Stube 32. Die anwesenden Zeugen sind später vor Gericht gehalten, folgende Worte Borcherts vor Gericht zu bestätigen, die verdichtet und hochironisch, in Anspielung auf Goebbels’ Beinbehinderung (er hatte einen Klumpfuß), die aussichtslose Lage der Kriegssituation auf den Punkt bringen:

„Das deutsche Volk kann ruhig sein. Lügen haben kurze Beine, aber es ist meinem Orthopäden gelungen, mein rechtes Bein auf die normale Länge zu bringen; Volksgenossen und Volksgenossinnen, unsere Führung hat euch luftige und helle Wohnungen versprochen, wir haben unser Versprechen gehalten, die Wohnungen habt ihr jetzt; der deutsche Soldat wird kämpfen bis zur letzten Patrone, dann wird er das große Laufen kriegen. Ihr werdet erlauben, dass ich schon jetzt vorauslaufe, da ich am Gehen behindert bin.“
(Aus der Anklageverfügung vom 3.1.1944)

Das war harter Tobak; umgehend wird er denunziert, von einem Grenadier von Grünewald. Und ebenso umgehend wird er vernommen und landet in Jena im Untersuchungsgefängnis; von dort wird er ins Untersuchungsgefängnis nach Berlin-Moabit überführt. Borchert ist politisch vorbestraft – sein Fall sieht nicht gut aus. Er wendet sich wieder an Dr. Hager aus Hamburg.

Bis zum Urteil, das am 4. September 1944 gefällt wird, bleibt Borchert in Untersuchungshaft, diesmal in einer Gemeinschaftszelle; eine Zeit, die sich literarisch in der Kurzgeschichte „Unser kleiner Mozart“ niederschlägt. In verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen finden sich noch drei weitere Kurzgeschichten, die die Gefängniszeit thematisieren: „Ching-Ling die Fliege“, „Ein Sonntagmorgen“, „Maria, alles Maria“. Sie wurden nicht ins „Gesamtwerk“ aufgenommen.

Wieder hat Borchert „Glück“; sein Anwalt sammelt gute Leumundszeugnisse und Entlastungsmaterial. Die Zeugen der Verteidigung geben zu Protokoll, dass der Angeklagte „auf dem Boden der Bewegung“ stehe; dass er „nie einen gehässigen politischen Witz erzählt habe“. Wolfgang Borchert wird zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, fünf Monate Untersuchungshaft werden angerechnet; es wird „Strafaufschub zwecks Feindbewährung bewilligt“.

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