Ungekürzter Text "Dantons Tod" von Georg Büchner (Seite 4)

I, 2

Eine Gasse

Simon. Sein Weib.

SIMON schlägt das Weib. Du Kuppelpelz, du runzliche Sublimatpille, du wurmstichischer Sündenapfel!

WEIB. He Hülfe! Hülfe!

Es kommen LEUTE gelaufen. Reißt sie auseinander! reißt sie auseinander!

SIMON. Nein, laßt mich Römer, zerschellen will ich dieß Geripp! Du Vestalin!

WEIB. Ich eine Vestalin? das will ich sehen, ich.

SIMON.

So reiß ich von den Schultern dein Gewand,

Nackt in die Sonne schleudr' ich dann dein Aas.

Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht.

Sie werden getrennt.

ERSTER BÜRGER. Was giebt's?

SIMON. Wo ist die Jungfrau? sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das Mädchen! nein auch das nicht; die Frau, das Weib! auch das, auch das nicht! Nur noch ein Name! oh der erstickt mich! Ich habe keinen Athem dafür.

ZWEITER BÜRGER. Das ist gut sonst würde der Name nach Schnaps riechen.

SIMON. Alter Virginius verhülle dein kahl Haupt. Der Rabe Schande sizt darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Römer! Er sinkt um.

WEIB. Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen, der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein.

ZWEITER BÜRGER. Dann geht er mit dreien.

WEIB. Nein, er fällt.

ZWEITER BÜRGER. Richtig, erst geht er mit dreien und dann fällt er auf das dritte, bis das dritte selbst wieder fällt.

SIMON. Du bist die Vampyrzunge die mein wärmstes Herzblut trinkt.

WEIB. Laßt ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer gerührt wird, es wird sich schon geben.

ERSTER BÜRGER. Was giebts denn?

WEIB. Seht ihr, ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und wärmte mich seht ihr, denn wir haben kein Holz, seht ihr …

ZWEITER BÜRGER. So nimm deines Mannes Nase.

WEIB. … und meine Tochter war da hinunter gegangen um die Ecke, sie ist ein braves Mädchen und ernährt ihre Eltern.

SIMON. Ha sie bekennt!

WEIB. Du Judas, hättest du nur ein Paar Hosen hinaufzuziehen, wenn die jungen Herren die Hosen nicht bey ihr hinunterließen? Du Brantweinfaß, willst du verdursten, wenn das Brünnlein zu laufen aufhört, he? Wir arbeiten mit allen Gliedern warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat damit geschafft wie sie zur Welt kam und es hat ihr weh gethan, kann sie für ihre Mutter nicht auch damit schaffen, he? und thut's ihr auch weh dabey, he? Du Dummkopf!

Simon. Ha Lucrecia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Römer! Ha Appius Claudius!

ERSTER BÜRGER. Ja ein Messer, aber nicht für die arme Hure, was that sie? Nichts! Ihr Hunger hurt und bettelt. Ein Messer für die Leute, die das Fleisch unserer Weiber und Töchter kaufen! Weh über die, so mit den Töchtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib und sie haben Magendrücken, ihr habt Löcher in den Jacken und sie haben warme Röcke, ihr habt Schwielen in den Fäusten und sie haben Sammthände. Ergo ihr arbeitet und sie thun nichts, ergo ihr habt's erworben und sie haben's gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigenthum ein paar Heller wieder haben wollt, müßt ihr huren und bettlen; ergo sie sind Spitzbuben und man muß sie todtschlagen.

DRITTER BÜRGER. Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben. Sie haben uns gesagt: schlagt die Aristocraten todt, das sind Wölfe! Wir haben die Aristocraten an die Laternen gehängt. Sie haben gesagt das Veto frißt euer Brot, wir haben das Veto todtgeschlagen. Sie haben gesagt die Girondisten hungern euch aus, wir haben die Girondisten guillotinirt. Aber sie haben die Todten ausgezogen und wir laufen wie zuvor auf nackten Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut von den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Todtgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!

ERSTER BÜRGER. Todtgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!

ZWEITER BÜRGER. Todtgeschlagen, wer auswärts geht!

ALLE schreien. Todtgeschlagen, todtgeschlagen! Einige schleppen einen jungen Menschen herbey.

EINIGE STIMMEN. Er hat ein Schnupftucht! ein Aristocrat! an die Laterne! an die Laterne!

ZWEITER BÜRGER. Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne! Eine Laterne wird herunter gelassen.

JUNGER MENSCH. Ach meine Herren!

ZWEITER BÜRGER. Es giebt hier keine Herren! An die Laterne!

EINIGE singen.

Die da liegen in der Erden,

Von de Würm gefresse werden.

Besser hangen in der Luft,

Als verfaulen in der Gruft!

JUNGER MENSCH. Erbarmen!

DRITTER BÜRGER. Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! S'ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit, wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen, aber wir werden uns losschneiden.

An die Laterne!

JUNGER MENSCH. Meinetwegen, ihr werdet deßwegen nicht heller sehen!

DIE UMSTEHENDEN. Bravo, bravo!

EINIGE STIMMEN. Laßt ihn laufen! Er entwischt.

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