Ungekürzter Text "Dantons Tod" von Georg Büchner (Seite 32)

IV, 8

Eine Straße

LUCILE. Es ist doch was wie Ernst darin. Ich will einmal nachdenken. Ich fange an so was zu begreifen.

Sterben – Sterben – Es darf ja Alles leben, Alles, die kleine Mücke da, der Vogel. Warum denn er nicht? Der Strom des Lebens müßte stocken, wenn nur der eine Tropfen verschüttet würde. Die Erde müßte eine Wunde bekommen von dem Streich.

Es regt sich Alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen, die Leute laufen, das Wasser rinnt und so, so Alles weiter bis da, dahin – nein! es darf nicht geschehen, nein – ich will mich auf den Boden setzen und schreien, daß erschrocken Alles stehn bleibt, Alles stockt, sich nichts mehr regt.

Sie setzt sich nieder, verhüllt sich die Augen und stößt einen Schrei aus. Nach einer Pause erhebt sie sich.

Das hilft nichts, da ist noch Alles wie sonst, die Häuser, die Gasse, der Wind geht, die Wolken ziehen. – Wir müssen's wohl leiden.

Einige Weiber kommen die Gasse herunter.

ERSTES WEIB. Ein hübscher Mann, der Hérault.

ZWEITES WEIB. Wie er beym Constitutionsfest so am Triumphbogen stand da dacht' ich so, der muß sich gut auf der Guillotine ausnehmen, dacht' ich. Das war so ne Ahnung.

DRITTES WEIB. Ja man muß die Leute in allen Verhältnissen sehen, es ist recht gut, daß das Sterben so öffentlich wird. Sie gehen vorbey.

LUCILE. Mein Camille! Wo soll ich dich jezt suchen?

 

IV, 9

Der Revolutionsplatz

Zwei Henker an der Guillotine beschäftigt.

 

ERSTER HENKER steht auf der Guillotine und singt.

Und wann ich hame geh

Scheint der Mond so scheeh…

ZWEITER HENKER. He! Holla! Bist bald fertig?

ERSTER HENKER. Gleich, gleich!

Singt. Scheint in meines Ellervaters Fenster

Kerl wo bleibst so lang bey de Menscher?

So! die Jacke her!

Sie gehn singend ab.

Und wann ich hame geh.

Scheint der Mond so scheeh.

LUCILE tritt auf und setzt sich auf die Stufen der Guillotine. Ich setze mich auf deinen Schooß, du stiller Todesengel.

Sie singt.

Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,

Hat Gewalt vom höchsten Gott.

Du liebe Wiege, die du meinen Camille in Schlaf gelullt, ihn unter deinen Rosen erstickt hast.

Du Todtenglocke, die du ihn mit deiner süßen Zunge zu Grabe sangst. Sie singt.

Viel hunderttausend ungezählt,

Was nur unter die Sichel fällt.

Eine Patrouille tritt auf.

EIN BÜRGER. He werda?

LUCILE. Es lebe der König!

BÜRGER. Im Namen der Republik.

Sie wird von der Wache umringt und weggeführt.

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