Ungekürzter Text "Dantons Tod" von Georg Büchner (Seite 31)

IV, 6

Ein Zimmer

JULIE. Das Volk lief in den Gassen, jezt ist Alles still. Keinen Augenblick möchte ich ihn warten lassen.

Sie zieht eine Phiole hervor.

Komm liebster Priester, dessen Amen uns zu Bette gehn macht.

Sie tritt ans Fenster.

Es ist so hübsch Abschied zu nehmen, ich habe die Thüre nur noch hinter mir zuzuziehen. Sie trinkt.

Man möchte immer so stehn. Die Sonne ist hinunter. Der Erde Züge waren so scharf in ihrem Licht, doch jezt ist ihr Gesicht so still und ernst wie einer Sterbenden. Wie schön das Abendlicht ihr um Stirn und Wangen spielt.

Stets bleicher und bleicher wird sie, wie eine Leiche treibt sie abwärts in der Fluth des Aethers; will denn kein Arm sie bey den goldnen Locken fassen und aus dem Strom sie ziehen und sie begraben?

Ich gehe leise. Ich küsse sie nicht, daß kein Hauch, kein Seufzer sie aus dem Schlummer wecke.

Schlafe, schlafe.

Sie stirbt.

 

IV, 7

Der Revolutionsplatz

Die Wagen kommen angefahren und halten vor der Guillotine. Männer und Weiber singen und tanzen die Carmagnole. Die Gefangnen stimmen die Marseillaise an.

 

EIN WEIB MIT KINDERN. Platz! Platz! Die Kinder schreien, sie haben Hunger. Ich muß sie zusehen machen, daß sie still sind. Platz!

EIN WEIB. He Danton, du kannst jezt mit den Würmern Unzucht treiben.

EINE ANDERE. Hérault, aus deinen hübschen Haaren laß' ich mir eine Perücke machen.

HÉRAULT. Ich habe nicht Waldung genug für einen so abgeholzten Venusberg.

CAMILLE. Verfluchte Hexen! Ihr werdet noch schreien: »Ihr Berge fallet auf uns!«

EIN WEIB. Der Berg ist auf euch oder ihr seyd ihn vielmehr hinunter gefallen.

DANTON zu Camille. Ruhig, mein Junge, du hast dich heiser geschrieen.

CAMILLE giebt dem Fuhrmann Geld. Da alter Charon, dein Karren ist ein guter Präsentirteller.

Meine Herren, ich will mich zuerst serviren. Das ist ein klassisches Gastmahl, wir liegen auf unsern Plätzen und verschütten etwas Blut als Libation. Adieu Danton. Er besteigt das Blutgerüst. Die Gefangnen folgen ihm einer nach dem andern. Danton steigt zulezt hinauf.

LACROIX zu dem Volk. Ihr tödtet uns an dem Tage, wo ihr den Verstand verloren habt; ihr werdet sie an dem tödten, wo ihr ihn wiederbekommt.

EINIGE STIMMEN. Das war schon einmal da, wie langweilig!

LACROIX. Die Tyrannen werden über unsern Gräbern den Hals brechen.

HÉRAULT zu Danton. Er hält seine Leiche für ein Mistbeet der Freiheit.

PHILIPPEAU auf dem Schafott. Ich vergebe euch, ich wünsche eure Todesstunde sey nicht bittrer als die meinige.

HÈRAULT. Dacht' ich's doch, er muß sich noch einmal in den Busen greifen und den Leuten da unten zeigen, daß er reine Wäsche hat.

FABRE. Lebewohl Danton. Ich sterbe doppelt.

DANTON. Adieu mein Freund. Die Guillotine ist der beste Arzt.

HÉRAULT will Danton umarmen. Ach Danton, ich bringe nicht einmal einen Spaß mehr heraus. Da ist's Zeit. Ein Henker stößt ihn zurück.

DANTON zum Henker. Willst du grausamer seyn als der Tod? Kannst du verhindern, daß unsere Köpfe sich auf dem Boden des Korbes küssen?

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