Ungekürztes Werk "Das Schloss Dürande" von Joseph von Eichendorff (Seite 7)

aber sang lieblich der Wind: ›Komm mit geschwind!‹, und die Bächlein schwatzten draußen untereinander im Mondglanz, wie wenn der Frühling anbrechen sollte, und sprangen glitzernd und wispernd über die Baumwurzeln: ›Bist du bereit? wir haben nicht Zeit, weit, weit, in die Waldeinsamkeit!‹ – ›Nun, nun, nur Geduld, ich komm' ja schon‹, sagte die Prinzessin ganz erschrocken und vergnügt, nahm schnell ihr Bündel unter den Arm und trat vorsichtig aus dem Schlafzimmer; zwei Mäuschen kamen ihr atemlos nach und brachten ihr noch den Fingerhut, den sie in der Eile vergessen. Das Herz klopfte ihr, denn die Brunnen im Hofe rauschten schon wieder schwächer, der Flußgott streckte sich taumelnd wieder zum Schlafe zurecht, auch der Wetterhahn drehte sich nicht mehr; so schlich sie leise die stille Treppe hinab.«

»Ach Gott! wenn der Riese jetzt aufwacht!« sagte Renate ängstlich.

»Die Prinzessin hatte auch Angst genug«, fuhr Gabriele fort, »sie hob sich das Röckchen, daß sie nicht an seinen langen Sporen hängen blieb, stieg geschickt über den einen, dann über den andern Stiefel, und noch einen herzhaften Sprung – jetzt stand sie draußen am Abhang. Da aber war's einmal schön! Da flogen die Wolken und rauschte der Strom und die prächtigen Wälder im Mondschein, und auf dem Strom fuhr ein Schifflein, saß ein Ritter darin.«

»Das ist ja gerade wie jetzt hier draußen«, unterbrach sie Renate, »da fährt auch noch einer im Kahn dicht unter unserm Garten; jetzt stößt er ans Land.«

»Freilich«, sagte Gabriele mutwillig und setzte sich ins Fenster und wehte mit ihrem weißen Schnupftuch hinaus. »›Und grüß' dich Gott‹, rief da die Prinzessin, ›grüß' dich Gott in die weite, weite Fern', es ist ja keine Nacht so still und tief als meine Lieb'!‹«

Renate faßte sie lachend um den Leib, um sie zurückzuziehen. »Herr Jesus!« schrie sie da plötzlich auf, »ein fremder Mann, dort an der Mauer hin!« Gabriele ließ erschrocken ihr Tuch sinken, es flatterte in den Garten hinab. Ehe sie sich aber noch besinnen konnte, hatte Renate schon das Fenster geschlossen; sie war voll Furcht, sie mochte nichts mehr von dem Märchen hören und trieb Gabrielen hastig aus der Tür, über den stillen Gang in ihre Schlafkammer.

Gabriele aber, als sie allein war, riß noch rasch in ihrer Zelle das Fenster auf. Zu ihrem Schreck bemerkte sie nun, daß das Tuch unten von dem Strauche verschwunden war, auf den es vorhin geflogen. Ihr Herz klopfte heftig, sie legte sich hinaus, so weit sie nur konnte, da glaubte sie draußen den Fluß wieder aufrauschen zu hören, darauf schallte Ruderschlag unten im Grunde, immer ferner und schwächer, dann alles, alles wieder still – so blieb sie verwirrt und überrascht am Fenster, bis das erste Morgenlicht die Bergesgipfel rötete.

Bald darauf traf der Namenstag der Priorin, ein Fest, worauf sich alle Hausbewohner das ganze Jahr hindurch freuten; denn auf diesen Tag war zugleich die jährliche Weinlese auf einem nahe gelegenen Gute des Klosters festgesetzt, an welcher die Nonnen mit teilnahmen. Da verbreitete sich, als der Morgenstern noch durch die Lindenwipfel in die kleinen Fenster hineinfunkelte, schon eine ungewohnte, lebhafte

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