Ungekürztes Werk "Das Schloss Dürande" von Joseph von Eichendorff (Seite 9)

sagte sie, »gehören dem Grafen Dürande; er grenzt hier an, das ist ein reicher Herr!« Gabriele aber dachte an ihren Herrn, und die Nonnen sangen wieder:

 

»Durch die Felder sieht man fahren

Eine wunderschöne Frau,

Und von ihren langen Haaren

Goldne Fäden auf der Au

Spinnet sie und singt im Gehen:

›Eia, meine Blümelein,

Nicht nach andern immer sehen,

Eia, schlafet, schlafet ein.‹«

 

»Ich höre Waldhörner!« rief hier plötzlich Gabriele; es verhielt ihr fast den Atem vor Erinnerung an die alte schöne Zeit. »Komm schnell herunter, mein Kind«, rief ihr die Priorin zu. Aber Gabriele hörte nicht darauf, zögernd und im Hinabsteigen noch immer zwischen den Zweigen hinausschauend, sagte sie wieder: »Es bewegt sich drüben am Saum des Waldes; jetzt seh' ich Reiter; wie das glitzert im Sonnenschein! Sie kommen gerade auf uns her.«

Und kaum hatte sie sich vom Baum geschwungen, als einer von den Reitern, über den grünen Plan dahergeflogen, unter den Linden anlangte und mit höflichem Gruß vor der Priorin stillhielt. Gabriele war schnell in das Haus gelaufen, dort wollte sie durchs Fenster nach dem Fremden sehn. Aber die Priorin rief ihr nach: Der Herr sei durstig, sie solle ihm Wein herausbringen. Sie schämte sich, daß er sie auf dem Baume gesehn, so kam sie furchtsam mit dem vollen Becher vor die Tür mit gesenkten Blicken, durch die langen Augenwimpern nur sah sie das kostbare Zaumzeug und die Stickerei auf seinem Jagdrock im Sonnenschein flimmern. Als sie aber an das Pferd trat, sagte er leise zu ihr: Er sehe doch ihre dunkeln Augen im Wein sich spiegeln wie in einem goldnen Brunnen. Bei dem Klang der Stimme blickte sie erschrocken auf – der Reiter war ihr Liebster – sie stand wie verblendet. Er trank jetzt auf der Priorin Gesundheit, sah aber dabei über den Becher weg Gabrielen an und zeigte ihr verstohlen ihr Tuch, das sie in jener Nacht aus dem Fenster verloren. Dann drückte er die Sporen ein, und flüchtig dankend, flog er wieder fort zu dem bunten Schwarm am Walde, das weiße Tuch flatterte weit im Winde hinter ihm her.

»Sieh nur«, sagte die Priorin lachend, »wie ein Falk, der eine Taube durch die Luft führt!«

»Wer war der Herr?« frug endlich Gabriele tief aufatmend. »Der junge Graf Dürande«, hieß es. Da tönte die Jagd schon wieder fern und immer ferner den funkelnden Wald entlang, die Nonnen aber hatten in ihrer Fröhlichkeit von allem nichts bemerkt und sangen von neuem:

 

»Und die Vöglein hoch in Lüften

Über blaue Berg' und Seen

Ziehn zur Ferne nach den Klüften,

Wo die hohen Zedern stehn,

Wo mit ihren goldnen Schwingen

Auf des Benedeiten Gruft

Engel Hosianna singen,

Nächtens durch die stille Luft.«

 

Etwa vierzehn Tage darauf schritt Renald eines Morgens still und rasch durch den Wald nach dem Schloß Dürande, dessen Türme finster über die Tannen hersahen. Er war ernst und bleich, aber mit Hirschfänger und leuchtendem Bandelier wie zu einem Feste geschmückt. In der Unruhe seiner Seele war er der Zeit ein gut Stück vorausgeschritten, denn als er ankam, war die Haustür noch verschlossen und alles still, nur die Dohlen erwachten schreiend auf den alten Dächern. Er setzte

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