Ungekürztes Werk "Libertas und ihre Freier" von Joseph von Eichendorff (Seite 11)

sanftesten Regungen zu erfüllen! Die Riesin hing mit aufgelöstem Haar am Halse des geliebten Mannes und schluchzte außerordentlich: Auch von seinem gerechten Schmerze zeugte eine ungeheuere Träne im Auge, die lieben Kleinen umklammerten kindlich lallend die Knie ihres verehrten Erzeugers, da hörte man nichts als die süßen Namen »Papa« und »teurer Gatte« und »treue Lebensgefährtin!«. Aber Rüpel zerdrückte die Träne und riß sich los wie ein Mann. »Weib, du sollst von mir hören!« rief er und schritt majestätisch in den Wald hinein, und Magog versäumte nicht, ihm auf das allereilfertigste nachzufolgen, denn hinter ihnen hörte er noch immer die Stimme der verwaiseten Familienmutter und konnte nicht recht unterscheiden, ob sie noch immer weinte oder etwa von neuem schimpfte.

Endlich war alles verhallt, man vernahm nur noch den Tritt der einsamen Wandrer. Magog bemerkte mit vieler Genugtuung den langen Fortschritt seines Reisekumpans, und da er seinen Rücken recht betrachtete, freute er sich dieser breitesten Grundlage und lud ihm auch noch sein eigenes Ränzel mit auf, das freilich nicht sonderlich schwer war. Durch die Wildnis aber wehte ihnen ein kräftiger Waldhauch entgegen, da wurden beide ganz lustig. Rüpel erzählte, wie er eigentlich von dem berühmten deutschen Bärenhäuter abstamme, Magog aber stimmte sein Lieblingslied an:

»Von des Volkes unverjährbaren Rechten

Und der Tyrannen Attentaten,

Die die Völker verdummen und knechten,

Fürsten und Pfaffen und Bürokraten.«

»Und Bier und Braten!« fiel hier Rüpel jubelnd mit ein. »Haben Sie etwas mit?« wandte sich Magog rasch herum. Rüpel schüttelte mit dem Kopfe. »Ha, also nur immer vorwärts, vorwärts!« ermutigte Magog.

Über dem Singen und den vergnügten Gesprächen aber hatte Rüpel unvermerkt den rechten Weg verloren. Vergebens bestieg er nun jeden Berg, dem sie begegneten, um sich wieder zurechtzufinden; man sah nichts als Himmel und Wald, der wie ein grünes Meer im frischen Winde Wellen schlug, so weit die Blicke reichten. Und fragen konnten sie auch niemand. Denn der Lärm, den sie unterwegs machten, war groß, und wo sie etwa ein einsamer Hirt oder Jäger hörte und des erschrecklichen Riesen ansichtig wurde, entfloh er sogleich oder verbarg sich im dicksten Gebüsch, bis sie vorüber waren. So irrten sie den ganzen Tag umher.

Des Abends, da sie schon sehr hungrig waren, kamen sie endlich an eine anmutige Anhöhe, an der unten ein Fluß vorüberging. Jenseits des Flusses aber lag ein weiter wüster Platz, rings vom finstern Walde eingeschlossen, und auf dem Platze lagen einzelne große Felsblöcke zerstreut, wie Trümmer einer verfallenen Stadt, was sehr einsam anzusehen war. Auf dieser Höhe machte Rüpel plötzlich halt und ließ den Magog seitwärts zwischen das Gebüsch treten und sich dort ganz still verhalten. Er selbst aber setzte sich mitten auf die Höhe, zog sein haariges Wams, gleich einer Nebelkappe, aus der nur seine großen Augen hervorfunkelten, bis über den Kopf herauf, kniff aus den Fellen ein Paar seltsame Ohren darüber und breitete mit beiden Armen den Pelzmantel aus wie zwei Flügel, so daß er wie eine ungeheuere Nachteule aussah. Es dauerte auch nicht lange, so kamen von allen Seiten die schreckhaftesten Vögel, wilde Auerhühner, Birkhähne und Fasanen, mit großem Geschrei

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