Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 103)
in den andern Ortschaften. In Wutz sprach Fix für das Kloster und die Konservativen im allgemeinen, ohne dabei Dubslav in Vorschlag zu bringen, weil er wußte, wie die Domina zu ihrem Bruder stand. Ein Linkskandidat aus Cremmen schien denn auch in der Wutzer Gegend die Oberhand gewinnen zu wollen. Noch gefährlicher für die ganze Grafschaft war aber ein Wanderapostel aus Berlin, der von Dorf zu Dorf zog und die kleinen Leute dahin belehrte, daß es ein Unsinn sei, von Adel und Kirche was zu erwarten. Die vertrösteten immer bloß auf den Himmel. Achtstündiger Arbeitstag und Lohnerhöhung und Sonntagspartie nach Finkenkrug – das sei das Wahre.
So zersplitterte sich’s allerorten. Aber wenigstens um den Stechlin herum hoffte man der Sache noch Herr werden und alle Stimmen auf Dubslav vereinigen zu können. Im Dorfkruge wollte man zu diesem Zwecke beraten, und Donnerstag, sieben Uhr, war dazu festgesetzt.
Der Stechliner Krug lag an dem Platze, der durch die Kreuzung der von Wutz her heranführenden Kastanienallee mit der eigentlichen Dorfstraße gebildet wurde, und war unter den vier hier gelegenen Eckhäusern das stattlichste. Vor seiner Front standen ein paar uralte Linden, und drei, vier Stehkrippen waren bis dicht an die Hauswand herangeschoben, aber alle ganz nach links hin, wo sich Eckladen und Gaststube befanden, während nach der rechten Seite hin der große Saal lag, in dem heute Dubslav, wenn nicht für die Welt, so doch für Rheinsberg-Wutz, und wenn nicht für Rheinsberg-Wutz, so doch für Stechlin und Umgegend proklamiert werden sollte. Dieser große Saal war ein fünffenstriger Längsraum, der schon manchen Schottischen erlebt, was er in seiner Erscheinung auch heute nicht zu verleugnen trachtete. Denn nicht nur waren ihm alle seine blanken Wandleuchter verblieben, auch die mächtige Baßgeige, die jedesmal wegzuschaffen viel zu mühsam gewesen wäre, guckte, schräg gestellt, mit ihrem langen Halse von der Musikempore her über die Brüstung fort.
Unter dieser Empore, quer durch den Saal hin, stand ein für das Komitee bestimmter länglicher Tisch mit Tischdecke, während auf den links und rechts sich hinziehenden Bänken einige zwanzig Vertrauensmänner saßen, denen es hinterher oblag, im Sinne der Komiteebeschlüsse weiterzuwirken. Die Vertrauensmänner waren meist wohlhabende Stechliner Bauern, untermischt mit offiziellen und halboffiziellen Leuten aus der Nachbarschaft: Förster und Waldhüter und Vormänner von den verschiedenen Glas- und Teeröfen. Zu diesen gesellte sich noch ein Torfinspektor, ein Vermessungsbeamter, ein Steueroffiziant und schließlich ein gescheiterter Kaufmann, der jetzt Agent war und die Post besorgte. Natürlich war auch Landbriefträger Brose da samt der gesamten Sicherheitsbehörde: Fußgendarm Uncke und Wachtmeister Pyterke von der reitenden Gendarmerie. Pyterke gehörte nur halb mit zum Revier (es war das immer ein streitiger Punkt), erschien aber trotzdem mit Vorliebe bei Versammlungen der Art. Es gab nämlich für ihn nichts Vergnüglicheres, als seinen Kameraden und Amtsgenossen Uncke bei solcher Gelegenheit zu beobachten und sich dabei seiner ungeheuren, übrigens durchaus berechtigten Überlegenheit als schöner Mann und ehemaliger Gardekürassier bewußt zu werden. Uncke war ihm der Inbegriff des Komischen, und wenn ihn schon das rote, verkupferte Gesicht an und für sich amüsierte, so doch viel, viel mehr noch der gefärbte