Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 102)
seiner Wahl gratulieren können. Er sich persönlich allerdings auch. Denn sein Leben hier ist zu einsam, so sehr, daß er, was doch sonst nicht seine Sache ist, mitunter darüber klagt. Das war das, was ich Dich wissen lassen mußte. ›Sonst nichts Neues vor Paris.‹ Krippenstapel geht in großer Aufregung einher; ich glaube, wegen unsrer auf Donnerstag in Stechlin selbst angesetzten Vorversammlung, wo er mutmaßlich seine herkömmliche Rede über den Bienenstaat halten wird. Empfiehl mich Deinen zwei liebenswürdigen Freunden, besonders Czako. Wie immer, Dein alter Freund Lorenzen.«
Woldemar, als er gelesen, wußte nicht recht, wie er sich dazu stellen sollte. Was Lorenzen da schrieb, »daß kein Besserer im Hause sitzen würde«, war richtig; aber er hatte trotzdem Bedenken und Sorge. Der Alte war durchaus kein Politiker; er konnte sich also stark in die Nesseln setzen, ja vielleicht zur komischen Figur werden. Und dieser Gedanke war ihm, dem Sohne, der den Vater schwärmerisch liebte, sehr schmerzlich. Außerdem blieb doch auch immer noch die Möglichkeit, daß er in dem Wahlkampf unterlag.
Diese Bedenken Woldemars waren nur allzu berechtigt. Es stand durchaus nicht fest, daß der alte Dubslav, so beliebt er selbst bei den Gegnern war, als Sieger aus der Wahlschlacht hervorgehen müsse. Die Konservativen hatten sich freilich daran gewöhnt, Rheinsberg-Wutz als eine »Hochburg« anzusehen, die der staatserhaltenden Partei nicht verlorengehen könne; diese Vorstellung aber war ein Irrtum, und die bisherige Reverenz gegen den alten Kortschädel wurzelte lediglich in etwas Persönlichem. Nun war ihm Dubslav an Ansehen und Beliebtheit freilich ebenbürtig, aber das mit der ewigen persönlichen Rücksichtnahme mußte doch mal ein Ende nehmen, und das Anrecht, das sich der alte Kortschädel ersessen hatte, mit diesem mußt’ es vorbei sein, eben weil sich’s endlich um einen Neuen handelte. Kein Zweifel, die gegnerischen Parteien regten sich, und es lag genau so, wie Lorenzen an Woldemar geschrieben, »daß ein Fortschrittler, aber auch ein Sozialdemokrat gewählt werden könne«.
Wie die Stimmung im Kreise wirklich war, das hätte der am besten erfahren, der im Vorübergehen an der Kontortür des alten Baruch Hirschfeld gehorcht hätte.
»Laß dir sagen, Isidor, du wirst also wählen den guten alten Herrn von Stechlin.«
»Nein, Vater. Ich werde nicht wählen den guten alten Herrn von Stechlin.«
»Warum nicht? Ist er doch ein lieber Herr und hat das richtige Herz.«
»Das hat er; aber er hat das falsche Prinzip.«
»Isidor, sprich mir nicht von Prinzip. Ich habe dich gesehn, als du hast charmiert mit dem Mariechen von nebenan und hast ihr aufgebunden das Schürzenband, und sie hat dir gegeben einen Klaps. Du hast gebuhlt um das christliche Mädchen. Und du buhlst jetzt, wo die Wahl kommt, um die öffentliche Meinung. Und das mit dem Mädchen, das hab’ ich dir verziehen. Aber die öffentliche Meinung verzeih’ ich dir nicht.«
»Wirst du, Vaterleben; haben wir doch die neue Zeit. Und wenn ich wähle, wähl’ ich für die Menschheit.«
»Geh mir, Isidor, die kenn’ ich. Die Menschheit, die will haben, aber nicht geben. Und jetzt wollen sie auch noch teilen.«
»Laß sie teilen, Vater.«
»Gott der Gerechte, was meinst du, was du kriegst? Nicht den zehnten Teil.«
Und ähnlich ging es