Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 100)

Händen und zögerte, das Siegel zu brechen. »Ich weiß, was drin steht, und ängstige mich doch beinahe. Wenn es nicht Kämpfe gibt, so gibt es wenigstens Verstimmungen. Und die sind mir womöglich noch fataler ... Aber was hilft es!«

Und nun brach er den Brief auf und las:

»Ich nehme an, mein lieber Woldemar, daß Du meine letzten Worte noch in Erinnerung hast. Sie liefen auf den Rat und die Bitte hinaus: gib auch in dieser Frage die Heimat nicht auf, halte Dich, wenn es sein kann, an das Nächste. Schon unsre Provinzen sind so sehr verschieden. Ich sehe Dich über solche Worte lächeln, aber ich bleibe doch dabei. Was ich Adel nenne, das gibt es nur noch in unsrer Mark und in unsrer alten Nachbar- und Schwesterprovinz, ja, da vielleicht noch reiner als bei uns. Ich will nicht ausführen, wie’s bei schärferem Zusehen auf dem adligen Gesamtgebiete steht; aber doch wenigstens ein paar Andeutungen will ich machen. Ich habe sie von allen Arten gesehen. Da sind zum Beispiel die rheinischen jungen Damen, also die von Köln und Aachen; nun ja, die mögen ganz gut sein, aber sie sind katholisch, und wenn sie nicht katholisch sind, dann sind sie was anderes, wo der Vater erst geadelt wurde. Neben den rheinischen haben wir dann die westfälischen. Über die ließe sich reden. Aber Schlesien. Die schlesischen Herrschaften, die sich mitunter auch Ma­gnaten nennen, sind alle so gut wie polnisch und leben vom Jeu und haben die hübschesten Erzieherinnen; immer ganz jung, da macht es sich am leichtesten. Und dann sind da noch weiterhin die preußischen, das heißt die ostpreußischen, wo schon alles aufhört. Nun, die kenn’ ich, die sind ganz wie ihre Litauer Füllen und schlagen aus und beknabbern alles. Und je reicher sie sind, desto schlimmer. Und nun wirst du fragen, warum ich gegen andre so streng und so sehr für unsre Mark bin, ja speziell für unsre Mittelmark. Deshalb, mein lieber Woldemar, weil wir in unsrer Mittelmark nicht so bloß äußerlich in der Mitte liegen, sondern weil wir auch in allem die rechte Mitte haben und halten. Ich habe mal gehört, unser märkisches Land sei das Land, drin es nie Heilige gegeben, drin man aber auch keine Ketzer verbrannt habe. Sieh, das ist das, worauf es ankommt, Mittelzustand – darauf baut sich das Glück auf. Und dann haben wir hier noch zweierlei: in unserer Bevölkerung die reine Lehre und in unserm Adel das reine Blut. Die, wo das nicht zutrifft, die kennt man. Einige meinen freilich, das, was sie das ›Geistige‹ nennen, das litte darunter. Das ist aber alles Torheit. Und wenn es litte (es leidet aber nicht), so schadet das gar nichts. Wenn das Herz gesund ist, ist der Kopf nie ganz schlecht. Auf diesen Satz kannst Du Dich verlassen. Und so bleibe denn, wenn Du suchst, in unsrer Mark und vergiß nie, daß wir das sind, was man so ›brandenburgische Geschichte‹ nennt. Am eindringlichsten aber laß Dir unsre Rheinsberger Gegend empfohlen sein, von der mir selbst Koseleger – trotzdem seine

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