Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 119)
Börsenfilou; jeder Groschen is zusammengejobbert. Sieben Mühlen hat er, aber bloß zwei Redensarten, und der Fortschritt ist abwechselnd die ›Vorfrucht‹ und dann wieder der ›Vater‹ der Sozialdemokratie. Vielleicht stammen wir auch noch von Gundermann ab. So einer bringt alles fertig.«
Uncke, während Söderkopp so sprach, war von Baum zu Baum immer näher gerückt und machte seine Notizen. In weiterer Entfernung stand Pyterke, schmunzelnd und sichtlich verwundert, was Uncke wieder alles aufzuschreiben habe.
Pyterkes Verwunderung über das »Aufschreiben« war nur zu berechtigt, aber sie wär’ es um ein gut Teil weniger gewesen, wenn sich Unckes aufhorchender Diensteifer statt dem Sozialdemokraten Söderkopp lieber dem Gespräch einer nebenstehenden Gruppe zugewandt hätte. Hier plauderten nämlich mehrere »Staatserhaltende« von dem mutmaßlichen Ausgange der Wahl und daß es mit dem Siege des alten Stechlin von Minute zu Minute schlechter stünde. Besonders die Rheinsberger schienen den Ausschlag zu seinen Ungunsten geben zu sollen.
»Hole der Teufel das ganze Rheinsberg!« verschwor sich ein alter Herr von Kraatz, dessen roter Kopf, während er so sprach, immer röter wurde. »Dies elende Nest! Wir bringen ihn wahr und wahrhaftig nicht durch, unsern guten alten Stechlin. Und was das sagen will, das wissen wir. Wer gegen uns stimmt, stimmt auch gegen den König. Das ist all eins. Das ist das, was man jetzt solidarisch nennt.«
»Ja, Kraatz«, nahm Molchow, an den sich diese Rede vorzugsweise gerichtet hatte, das Wort, »nennen Sie’s, wie Sie wollen, solidarisch oder nicht; das eine sagt nichts, und das andre sagt auch nichts. Aber mit Ihrem Wort über Rheinsberg, da haben Sie’s freilich getroffen. Aufmuckung war hier immer zu Hause, von Anfang an. Erst frondierte Fritz gegen seinen Vater, dann frondierte Heinrich gegen seinen Bruder, und zuletzt frondierte August, unser alter forscher Prinz August, den manche von uns ja noch gut gekannt haben, ich sage: frondierte unser alter August gegen die Moral. Und das war natürlich das Schlimmste.« (Zustimmung und Heiterkeit.) »Und bestraft sich zuletzt auch immer. Denn wissen Sie denn, meine Herren, wie’s mit Augusten schließlich ging, als er durchaus in den Himmel wollte?«
»Nein. Wie war es denn, Molchow?«
»Ja, er mußte da wohl ’ne halbe Stunde warten, und als er nu mit ’nem Anschnauzer gegen Petrus rausfahren wollte, da sagte ihm der Fels der Kirche: ›Königliche Hoheit, halten zu Gnaden, aber es ging nicht anders.‹ Und warum nicht? Er hatte die elftausend Jungfrauen erst in Sicherheit bringen müssen.«
»Stimmt, stimmt«, sagte Kraatz. »So war der Alte. Der reine Deubelskerl. Aber schneidig. Und ein richtiger Prinz. Und dann, meine Herren – ja, du mein Gott, wenn man nu mal Prinz is, irgendwas muß man doch von der Sache haben ... Und so viel weiß ich, wenn ich Prinz wäre ...«
Zwanzigstes Kapitel
Um sechs stand das Wahlresultat so gut wie fest; einige Meldungen fehlten noch, aber das war aus Ortschaften, die mit ihren paar Stimmen nichts mehr ändern konnten. Es lag zutage, daß die Sozialdemokraten einen beinahe glänzenden Sieg davongetragen hatten; der alte Stechlin stand weit zurück, Fortschrittler Katzenstein aus Gransee noch weiter. Im ganzen aber ließen beide besiegte Parteien dies ruhig über sich ergehen; bei