Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 120)
den Freisinnigen war wenig, bei den Konservativen gar nichts von Verstimmung zu merken. Dubslav nahm es ganz von der heiteren Seite, seine Parteigenossen noch mehr, von denen eigentlich ein jeder dachte: »Siegen ist gut, aber zu Tische gehen ist noch besser.« Und in der Tat, gegessen mußte werden. Alles sehnte sich danach, bei Forellen und einem guten Chablis die langweilige Prozedur zu vergessen. Und war man erst mit den Forellen fertig und dämmerte der Rehrücken am Horizont herauf, so war auch der Sekt in Sicht. Im »Prinzregenten« hielt man auf eine gute Marke.
Durch den oberen Saal hin zog sich die Tafel: der Mehrzahl nach Rittergutsbesitzer und Domänenpächter, aber auch Gerichtsräte, die so glücklich waren, den »Hauptmann in der Reserve« mit auf ihre Karte setzen zu können. Zu diesem gros d’armée gesellten sich Forst- und Steuerbeamte, Rentmeister, Prediger und Gymnasiallehrer. An der Spitze dieser stand Rektor Thormeyer aus Rheinsberg, der große vorstehende Augen, ein mächtiges Doppelkinn, noch mächtiger als Koseleger, und außerdem ein Renommee wegen seiner Geschichten hatte. Daß er nebenher auch ein in der Wolle gefärbter Konservativer war, versteht sich von selbst. Er hatte, was aber schon Jahrzehnte zurücklag, den großartigen Gedanken gefaßt und verwirklicht: die ostelbischen Provinzen, da, wo sie strauchelten, durch Gustav Kühnsche Bilderbogen auf den richtigen Pfad zurückzuführen, und war dafür dekoriert worden. Es hieß denn auch von ihm, »er gelte was nach oben hin«, was aber nicht recht zutraf. Man kannte ihn »oben« ganz gut.
Um halb sieben (Lichter und Kronleuchter brannten bereits) war man unter den Klängen des Tannhäusermarsches die hie und da schon ausgelaufene Treppe hinaufgestiegen. Unmittelbar vorher hatte noch ein Schwanken wegen des Präsidiums bei Tafel stattgefunden. Einige waren für Dubslav gewesen, weil man sich von ihm etwas Anregendes versprach, auch speziell mit Rücksicht auf die Situation. Aber die Majorität hatte doch schließlich Dubslavs Vorsitz als ganz undenkbar abgelehnt, da der Edle Herr von Alten-Friesack, trotz seiner hohen Jahre, mit zur Wahl gekommen war; der Edle Herr von Alten-Friesack, so hieß es, sei doch nun mal – und von einem gewissen Standpunkt aus auch mit Fug und Recht – der Stolz der Grafschaft, überhaupt ein Unikum, und ob er nun sprechen könne oder nicht, das sei, wo sich’s um eine Prinzipienfrage handle, durchaus gleichgültig. Überhaupt, die ganze Geschichte mit dem »Sprechenkönnen« sei ein moderner Unsinn. Die einfache Tatsache, daß der Alte von Alten-Friesack dasäße, sei viel, viel wichtiger als eine Rede, und sein großes Präbendenkreuz ziere nicht bloß ihn, sondern den ganzen Tisch. Einige sprechen freilich immer von seinem Götzengesicht und seiner Häßlichkeit, aber auch das schade nichts. Heutzutage, wo die meisten Menschen einen Friseurkopf hätten, sei es eine ordentliche Erquikkung, einem Gesicht zu begegnen, das in seiner Eigenart eigentlich gar nicht unterzubringen sei. Dieser von dem alten Zühlen, trotz seiner Vorliebe für Dubslav, eindringlich gehaltenen Rede war allgemein zugestimmt worden, und Baron Beetz hatte den götzenhaften Alten-Friesacker an seinen Ehrenplatz geführt. Natürlich gab es auch Schandmäuler. An ihrer Spitze stand Molchow, der dem neben ihm sitzenden Katzler zuflüsterte: »Wahres Glück, Katzler, daß der