Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 148)

Herr Hauptmann?«

»Heute, gnädigste Gräfin. Und auch ein Telegramm. Ich hab’ es mitgebracht, weil ich an die Möglichkeit dachte ...«

»Bitte, lesen.«

Und Czako las: »London, Charing-Cross-Hotel. Alles über Erwarten groß. Sieben unvergeßliche Tage. Richmond schön. Windsor schöner. Und die Nelsonsäule vor mir. Ihr v. St.«

Melusine lachte. »Das hat er uns auch telegraphiert.«

»Ich fand es wenig«, stotterte Czako verlegen, »und als Doublette find’ ich es noch weniger. Und ein Mann wie Stechlin, ein Mann in Mission! Und jetzt sogar unter den Augen Ihrer Majestät von Großbritannien und Indien.«

Alles stimmte dem, »daß es wenig sei«, zu. Nur der alte Graf wollte davon nichts wissen.

»Was verlangt ihr? Es ist umgekehrt ein sehr gutes Telegramm, weil ein richtiges Telegramm; Richmond, Windsor, Nelsonsäule. Soll er etwa telegraphieren, daß er sich sehnt, uns wiederzusehn? Und das wird er nicht einmal können, so riesig verwöhnt er jetzt ist. Ihr werdet euch alle sehr zusammennehmen müssen. Auch du, Melusine.«

»Natürlich, ich am meisten.«

Verlobung.

Weihnachtsreise nach Stechlin

25. Kapitel

Drei Tage später war Woldemar zurück und meldete sich für den nächsten Abend am Kronprinzenufer an. Er traf nur die beiden Damen, die, Melusine voran, kein Hehl aus ihrer Freude machten. »Papa läßt Ihnen sein Bedauern aussprechen, Sie nicht gleich heute mitbegrü­ßen zu können. Er ist bei den Berchtesgadens zur Spielpartie, bei der er natürlich nicht fehlen durfte. Das ist ›Dienst‹, weit strenger als der Ihrige. Wir haben Sie nun ganz allein, und das ist auch etwas Gutes. An Besuch ist kaum zu denken; Rex war erst gestern auf eine kurze Visite hier, etwas steif und formell wie gewöhnlich, und mit Ihrem Freunde Czako haben wir letzten Sonnabend eine Stunde verplaudern können. Wrschowitz war an demselben Abend auch da; beide treffen sich jetzt öfter und vertragen sich besser, als ich bei Beginn der Bekanntschaft dachte. Wer also sollte noch kommen? ... Und nun setzen Sie sich, um Ihr Reisefüllhorn über uns auszuschütten – die Füllhörner, die jetzt Mode sind, sind meist Bonbontüten, und genau so was erwart’ ich auch von Ihnen. Sie sollten mir in einem Briefe von den Engländerinnen schreiben. Aber wer darüber nicht schrieb, das waren Sie, wenn wir uns auch entschließen wollen, Ihr Telegramm für voll anzusehn.« Und dabei lachte Melusine. »Vielleicht haben Sie uns in unsrer Eitelkeit nicht kränken wollen. Aber offen Spiel ist immer das beste. Wovon Sie nicht geschrieben, davon müssen Sie jetzt sprechen. Wie war es drüben? Ich meine mit der Schönheit.«

»Ich habe nichts einzelnes gesehn, was mich frappiert oder gar hingerissen hätte.«

»Nichts einzelnes. Soll das heißen, daß Sie dafür das Ganze beinah bewundert haben, will also sagen, die weibliche Totalität?«

»Fast könnt’ ich dem zustimmen. Ich erinnere mich, daß mir vor Jahr und Tag schon ein Freund einmal sagte, ›in der ganzen Welt fände man, Gott sei Dank, schöne Frauen, aber nur in England seien die Frauen überhaupt schön‹.«

»Und das haben Sie geglaubt?«

»Es liegt eigentlich schlimmer, gnädigste Gräfin. Ich hab’ es nicht geglaubt; aber ich hab’ es, meinem Nichtglauben zum Trotz, nachträglich bestätigt gefunden.«

»Und Sie schaudern nicht vor solcher Übertreibung?«

»Ich kann es nicht, sosehr ich gerade hier eine Verpflichtung dazu

Seiten