Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 146)

dies diffizile Kampffeld, ich weiß nicht ritterlicher- oder unritterlicherweise, mir ganz allein überlassen haben. Doktor Wrschowitz, wie denken Sie darüber?«

»Ich denke darüber ganz wie gnädige Frau. Was wir da lesen wie Runenschrift ... nein, nicht wie Runenschrift ...« (Wrschowitz unterbrach sich hier mißmutig über sein eignes Hineingeraten ins Skandinavische) – »was wir da lesen in Briefen vom Hofe, das ist Krittikk. Und weil es Krittikk ist, ist es gutt. Mag es auch sein Mißbrauch von Krittikk. Alles hat Mißbrauch. Gerechtigkeit hat Mißbrauch, Kirche hat Mißbrauch, Krittikk hat Mißbrauch. Aber trotzdem. Auf die Feme kommt es an, und das große Messer muß wieder stecken im Baum.«

»Brrr«, sagte Czako, was ihm einen ernsten Augenaufschlag von Wrschowitz eintrug. –

Als man sich nach einer halben Stunde von Tisch erhoben hatte, wechselte man den Raum und begab sich in das Damenzimmer zurück, weil der alte Graf etwas Musik hören und sich von Armgards Fortschritten überzeugen wollte. »Doktor Wrschowitz hat vielleicht die Güte, dich zu begleiten.«

So folgte denn ein Quatremains, und als man damit aufhörte, nahm der alte Barby Veranlassung, seiner Vorliebe für solch vierhändiges Spiel Ausdruck zu geben, was Wrschowitz, dessen Künstlerüberheblichkeit keine Grenzen kannte, zu der ruhig lächelnden Gegenbemerkung veranlaßte, daß man dieser Auffassung bei Dilettanten sehr häufig begegne. Der alte Graf, wenig befriedigt von dieser »Krittikk«, war doch andrerseits viel zu vertraut mit Künstlerallüren im allgemeinen und mit den Wrschowitzschen im besonderen, um sich ernstlich über solche Worte zu verwundern. Er begnügte sich vielmehr mit einer gemessenen Verbeugung gegen den Musikdoktor und zog, auf einer nebenstehenden Causeuse Platz nehmend, die gute Frau von Berchtesgaden ins Gespräch, von der er wußte, daß ihre Munterkeiten nie den Charakter »goldener Rücksichtslosigkeiten« annahmen.

Wrschowitz seinerseits war an dem aufgeklappten Flügel stehengeblieben, ohne jede Spur von Verlegenheit, so daß ein Sichkümmern um ihn eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Trotzdem hielt es Czako für angezeigt, sich seiner anzunehmen und dabei die herkömmliche Frage zu tun, »ob er, der Herr Doktor Wrschowitz, sich schon in Berlin eingelebt habe«.

»Hab’ ich«, sagte Wrschowitz kurz.

»Und beklagen es nicht, Ihr Zelt unter uns aufgeschlagen zu haben?«

»Au contraire. Berlin eine schöne Stadt, eine serr gutte Stadt. Eine serr gutte Stadt pour moi en particulier et pour les étrangers en général. Eine serr gutte Stadt, weil es hat Musikk und weil es hat Krittikk.«

»Ich bin beglückt, Doktor Wrschowitz, speziell aus Ihrem Munde so viel Gutes über unsre Stadt zu hören. Im allgemeinen ist die slawische, besonders die tschechische Welt ...«

»Oh, die tschechische Welt. Vanitas vanitatum.«

»Es ist sehr selten, in nationalen Fragen einem so freien Drüberstehn zu begegnen ... Aber wenn es Ihnen recht ist, Doktor Wrschowitz, wir stehen hier wie zwei Schildhalter neben diesem aufgeklappten Klavier – vielleicht daß wir uns setzen könnten. Gräfin Melusine lugt ohnehin schon nach uns aus.« Und als Wrschowitz seine Zustimmung zu diesem Vorschlage Czakos ausgedrückt hatte, schritten beide Herren vom Klavier her auf den Kamin zu, vor dem sich die Gräfin auf einem Fauteuil niedergelassen hatte. Neben ihr stand ein Marmortischchen, drauf sie den linken Arm stützte.

»Nun endlich, Herr von Czako.

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