Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 145)

Mut ihrer Meinung, sondern diesen Mut auch in betreff ihrer jedesmaligen Spezialgeschichte, von der man in der Regel freilich sagen durfte, daß sie desselben auch dringend bedürftig war.

»Sagen Sie, liebe Freundin«, begann der alte Graf, »was wird das jetzt so eigentlich mit den Briefen bei Hofe?«

»Mit den Briefen? Oh, das wird immer schöner.«

»Immer schöner?«

»Nun, immer schöner«, lachte hier die Baronin, »ist vielleicht nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird immer geheimnisvoller. Und das Geheimnisvolle hat nun mal das, worauf es ankommt, will sagen den Charme. Schon die beliebte Wendung ›rätselhafte Frau‹ spricht dafür; eine Frau, die nicht rätselhaft ist, ist ­eigentlich gar keine, womit ich mir persönlich freilich eine Art Todesurteil ausspreche. Denn ich bin alles, nur kein Rätsel. Aber am Ende, man ist, wie man ist, und so muß ich dies Manko zu verwinden suchen ... Es heißt immer, ›üble Nachrede, drin man sich mehr oder weniger mit Vorliebe gefalle, sei was Sündhaftes‹. Aber was heißt hier ›üble Nachrede›? Vielleicht ist das, was uns so bruchstückweise zu Gehör kommt, nur ein schwaches Echo vom Eigentlichen und bedeutet eher ein Zuwenig als ein Zuviel. Im übrigen; wie’s damit auch sei, mein Sinn ist nun mal auf das Sensationelle gerichtet. Unser Leben verläuft, offen gestanden, etwas durchschnittsmäßig, also langweilig und weil dem so ist, setz’ ich getrost hinzu: ›Gott sei Dank, daß es Skandale gibt.‹ Freilich für Armgard ist so was nicht gesagt. Die darf es nicht hören.«

»Sie hört es aber doch«, lachte die Komtesse, »und denkt dabei: was es doch für sonderbare Neigungen und Glücke gibt. Ich habe für dergleichen kein Organ. Unsre teure Baronin findet unser Leben langweilig und solche Chronik interessant. Ich, umgekehrt, finde solche Chronik langweilig und unser alltägliches Leben interessant. Wenn ich den Rudolf unsers Portiers Hartwig unten mit seinem ›hoop‹ und seinen dünnen langen Berliner Beinen über die Straße laufen sehe, so find’ ich das interessanter als diese sogenannte Pikanterie.«

Melusine stand auf und gab Armgard einen Kuß. »Du bist doch deiner Schwester Schwester, oder mein Erziehungsprodukt, und zum erstenmal in meinem Leben muß ich meine teure Baronin ganz im Stiche lassen. Es ist nichts mit diesem Klatsch; es kommt nichts dabei heraus.«

»Ach, liebe Melusine, das ist durchaus nicht richtig. Es kommt umgekehrt sehr viel dabei heraus. Ihr Barbys seid alle so schrecklich diskret und ideal, aber ich für mein Teil, ich bin anders und nehme die Welt, wie sie ist; ein Bier und ein Schnaderhüpfl und mal ein Haberfeldtreiben, damit kommt man am weitesten. Was wir da jetzt hier erleben, das ist auch solch Haberfeldtreiben, ein Stück Feme.«

»Nur keine heilige.«

»Nein«, sagte die Baronin, »keine heilige. Die Feme war aber auch nicht immer heilig. Habe mir da neulich erst den Götz wieder angesehn, bloß wegen dieser Szene. Die Poppe beiläufig vorzüglich. Und der schwarze Mann von der Feme soll im Urtext noch viel schlimmer gewesen sein, so daß man es (Goethe war damals noch sehr jung) eigentlich kaum lesen kann. Ich würde mir’s aber doch getrauen. Und nun wend’ ich mich an unsre Herren, die

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