Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 174)
stehen wir im Zeichen einer demokratischen Weltanschauung. Eine neue Zeit bricht an. Ich glaube, eine bessere und eine glücklichere. Aber wenn auch nicht eine glücklichere, so doch mindestens eine Zeit mit mehr Sauerstoff in der Luft, eine Zeit, in der wir besser atmen können. Und je freier man atmet, je mehr lebt man. Was aber Woldemar angeht, meiner sind Sie sicher, Frau Gräfin. Bleibt freilich, als Hauptfaktor, noch die Komtesse. Für die müssen Sie die Bürgschaft übernehmen. Die Frauen bestimmen schließlich doch alles.«
»So heißt es immer. Und wir sind eitel genug, es zu glauben. Aber das führt uns auf ganz neue Gebiete. Vorläufig Ihre Hand zur Besieglung. Und nun erlauben Sie mir, nach diesem unserm revolutionären Diskurse, zu den Hütten friedlicher Menschen zurückzukehren. Ich habe mich bei dem alten Herrn nur auf eine halbe Stunde beurlaubt und rechne darauf, daß Sie mich, wenn nicht bis ins ›Museum‹ selbst (das dem Programm nach besucht werden sollte), so doch wenigstens bis auf die Schloßrampe begleiten.«
30. Kapitel
Lorenzen tat, wie gewünscht, und auf dem Wege zum Schloß plauderten beide weiter, wenn auch über sehr andere Dinge.
»Was ist es eigentlich mit diesem ›Museum‹?« fragte Melusine; »kann ich mir doch kaum was Rechtes darunter vorstellen. Eine alte Papptafel mit Inschrift hängt da schräg über der Saaltür, alles dicht neben meinem Schlafzimmer, und ich habe mich etwas davor geängstigt.«
»Sehr mit Unrecht, gnädigste Gräfin. Die primitive Papptafel, die freilich verwunderlich genug aussieht, sollte wohl nur andeuten, daß es sich bei der ganzen Sache mehr um einen Scherz als um etwas Ernsthaftes handelt. Etwa wie bei Sammlung von Meerschaumpfeifen und Tabaksdosen. Und Sie werden auch vorwiegend solchen Seltsamkeiten begegnen. Anderseits aber ist es auch wieder ein richtiges historisches Museum, trotzdem es nur halb das geworden ist, worauf Herr von Stechlin anfänglich aus war.«
»Und das war?«
»Das war mehr etwas Groteskes. Es mögen nun wohl schon zwanzig Jahre sein, da las er eines Tages in der Zeitung von einem Engländer, der historische Türen sammle und neuerdings sogar für eine enorme Summe, ich glaube, es waren tausend Pfund, die Gefängnistür erstanden habe, durch die Ludwig XVI. und dann später Danton und Robespierre zur Guillotinierung abgeführt worden seien. Und diese Notiz machte solchen Eindruck auf unsern liebenswürdigen Stechliner Schloßherrn, daß er auch solche historische Türensammlung anzulegen beschloß. Er ist aber nicht weit damit gekommen und hat sich mit dem Küstriner Schloßfenster begnügen müssen, an dem Kronprinz Friedrich stand, als Katte zur Enthauptung vorübergeführt wurde. Doch auch das ist unsicher, ja, die meisten wollen nichts davon wissen. Nur Krippenstapel hält noch daran fest.«
»Krippenstapel?«
»Ja. Der Name frappiert Sie. Das ist nämlich unser Lehrer hier, Liebling des alten Herrn und sein Berater in derlei Dingen. Der hat ihm denn auch das gegenwärtige ›Museum‹, das man als Abschlagszahlung auf die ›historischen Türen‹ ansehen kann, zusammengestellt. Außer dem angezweifelten Fenster werden Frau Gräfin noch ein paar phantastische Regentraufen finden und vor allem viele Wetterhähne, die von alten märkischen Kirchtürmen herabgenommen wurden. Einige sollen ganz interessant sein. Ich habe keinen Sinn dafür. Aber Krippenstapel hat einen Katalog angefertigt.«
Unter diesen