Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 182)

Hand.

»Dann bin ich beruhigt«, wiederholte der Alte. »Melusine gefällt fast immer. Aber manchem gefällt sie freilich auch nicht. Es gibt so viele Menschen, die haben einen natürlichen Haß gegen alles, was liebenswürdig ist, weil sie selber unliebenswürdig sind. Alle beschränkten und aufgesteiften Individuen, alle, die eine bornierte Vorstellung vom Christentum haben – das richtige sieht ganz anders aus –, alle Pharisäer und Gernegroß, alle Selbstgerechten und Eiteln fühlen sich durch Personen wie Melusine gekränkt und verletzt, und wenn sich der alte Stechlin in Melusine verliebt hat, dann lieb’ ich ihn schon darum, denn er ist dann eben ein guter Mensch. Mehr brauch’ ich von ihm gar nicht zu wissen. Übrigens konnt’ es kaum anders sein. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aber auch umgekehrt: wenn ich den Apfel kenne, kenn’ ich auch den Stamm ... Und wer war denn noch da? Ich meine, von Verwandtschaft?«

»Nur noch Tante Adelheid von Kloster Wutz«, sagte Armgard.

»Das ist die Schwester des Alten?«

»Ja, Papa. Ältere Schwester. Wohl um zehn Jahr älter und auch nur Halbschwester. Und eine Domina.«

»Sehr fromm?«

»Das wohl eigentlich nicht.«

»Du bist so einsilbig. Sie scheint dir nicht recht gefallen zu haben.«

Armgard schwieg.

»Nun, Melusine, dann sprich du. Nicht fromm also; das ist gut. Aber vielleicht ›hautaine‹?«

»Fast könnte man’s sagen«, antwortete Melusine. »Doch paßt es auch wieder nicht recht, schon deshalb nicht, weil es ein französisches Wort ist. Tante Adelheid ist eminent unfranzösisch.«

»Ah, ich versteh’. Also komische Figur.«

»Auch das nicht so recht, Papa. Sagen wir einfach, zurückgeblieben, vorweltlich.«

Der alte Graf lachte. »Ja, das ist in allen alten Familien so, vor allem bei reichen und vornehmen Juden. Kenne das noch von Wien her, wo man überhaupt solche Fragen studieren kann. Ich verkehrte da viel in ­einem großen Bankierhause, drin alles nicht bloß voll Glanz, sondern auch voll Orden und Uniformen war. Fast zuviel davon. Aber mit einem Male traf ich in einer Ecke, ganz einsam und doch beinah vergnüglich, einen merkwürdigen Urgreis, der wie der alte Gobbo – der in dem Stück von Shakespeare vorkommt – aussah, und als ich mich später bei einem Tischnachbar erkundigte, wer denn das sei, da hieß es: ›Ach, das ist ja Onkel Manasse.‹ Solche Onkel Manasses gibt es überall, und sie können unter Umständen auch Tante Adelheid heißen.«

Daß der alte Graf das so leicht nahm, erfreute die Töchter sichtlich, und als Jeserich bald danach das Teezeug brachte, wurd’ auch Armgard mitteilsamer und erzählte zunächst von Superintendent Koseleger und Pastor Lorenzen, danach vom Stechlinsee (der ganz überfroren gewesen sei, so daß sie die berühmte Stelle nicht hätten sehen können) und zuletzt von dem Museum und den Wetterfahnen.

Diese waren das, was den alten Grafen am meisten interessierte. »Wetterfahnen, ja, die müssen gesammelt werden, nicht bloß alte Dragoner in Blech geschnitten, sondern auch allermodernste Silhouetten, sagen wir aus der Diplomatenloge. Da kommt dann schon eine ganz hübsche Galerie zusammen. Und wißt ihr, Kinder, das mit dem Museum gibt mir erst eine richtige Vorstellung von dem Alten und eine volle Befriedigung, beinah mehr noch, als daß ihm Melusine gefallen hat. Ich bin sonst

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