Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 190)
gefragt und ob er Freude daran gehabt habe.
»Nein, meine Herren«, sagte Szilagy, »das kann ich leider nicht sagen. Ich habe ›Bellis perennis‹ auf eigne Kosten herstellen lassen und hundertzehn Rezensionsexemplare verschickt, unter Beilegung eines Zettels; der ist denn auch von einigen Zeitungen abgedruckt worden, aber nur von ganz wenigen. Im übrigen schweigt die Kritik.«
»Oh, Krittikk«, sagte Wrschowitz. »Ich liebe Krittikk. Aber gute Krittikk schweigt.«
»Und doch«, fuhr Szilagy fort, der sich in dem etwas delphischen Ausspruch des guten Wrschowitz nicht gleich zurechtfinden konnte, »doch sind diese schmerzlichen Gefühle nichts gegen das, was voraufgegangen. Ich unterhielt nämlich vor Erscheinen des Buches selbst die Hoffnung in mir, einige dieser kleinen Arbeiten in einem Parteiblatt und, als dies mißlang, in einem Familienjournal unterbringen zu können. Aber ich scheiterte ...«
»Ja, natürlich scheiterten Sie«, sagte Pusch, »das spricht für Sie. Lassen Sie sich sagen und raten, denn ich weiß in diesen Dingen einigermaßen Bescheid. War nämlich drüben, ja ich darf beinah sagen, ich war doppelt drüben, erst drüben in England und dann drüben in Amerika. Da versteht man’s. Ja, du lieber Himmel, dies bedruckte Löschpapier! Man lebt davon, und es regiert eigentlich die Welt. Aber, aber ... Und dabei, wenn ich recht gehört habe, sprachen Sie von Parteiblatt – furchtbar. Und dann sprachen Sie von Familienjournal – zweimal furchtbar!«
»Haben Sie selbst Erfahrungen gemacht auf diesem schwierigen Gebiete?«
»Nein, Herr von Szilagy, so tief ließ mich die Gnade nicht sinken. Aber ich treibe mein Wesen über dem Strich, und wenn man so Wand an Wand wohnt, da weiß man doch einigermaßen, wie’s bei dem Nachbar aussieht. Ach, und außerdem, wie so mancher hat mir sein Herz ausgeschüttet und mir dabei seine liebe Not geklagt! Wer’s nicht leicht nimmt, der ist verloren. Roman, Erzählung, Kriminalgeschichte. Jeder, der der großen Maße genügen will, muß ein Loch zurückstecken. Und wenn er das redlich getan hat, dann immer noch eins. Es gibt eine Normalnovelle. Etwa so: Tiefverschuldeter adeliger Assessor und ›Sommerleutnant‹ liebt Gouvernante von stupender Tugend, so stupende, daß sie, wenn geprüft, selbst auf diesem schwierigsten Gebiete bestehen würde. Plötzlich aber ist ein alter Onkel da, der den halb entgleisten Neffen an eine reiche Cousine standesgemäß zu verheiraten wünscht. Höhe der Situation! Drohendster Konflikt. Aber in diesem bedrängten Moment entsagt die Cousine nicht nur, sondern vermacht ihrer Rivalin auch ihr Gesamtvermögen. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch ... Ja, Herr von Szilagy, wollen Sie damit konkurrieren?«
Alles stimmte zu; nur Baron Planta meinte: »Doktor Pusch, Pardon, aber ich glaube beinah, Sie übertreiben. Und Sie wissen es auch.«
Pusch lachte. »Wenn man etwas der Art sagt, übertreibt man immer. Wer ängstlich abwägt, sagt gar nichts. Nur die scharfe Zeichnung, die schon die Karikatur streift, macht eine Wirkung. Glauben Sie, daß Peter von Amiens den ersten Kreuzzug zusammengetrommelt hätte, wenn er so etwa beim Erdbeerpflücken einem Freunde mitgeteilt hätte, das Grab Christi sei vernachlässigt und es müsse für ein Gitter gesorgt werden?!«
»Serr gutt, serr gutt!«
»Und so auch, meine Herren, wenn ich von moderner Literatur spreche. Herr von Szilagy, den wir so glücklich