Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 192)

spreche von Niels Gade. Seine Kompositionen reichen bis an Mendelssohn heran.«

»Was ihn nicht größer macht.«

»Doch, mein Herr Doktor. Wirkliche Kunstgrößen zu stürzen, dazu reichen Überheblichkeiten nicht aus.«

»Was Sie nicht abhielt, mein Herr Professor, den großen Gudin cülbütieren zu wollen.«

»Über Malerei zu sprechen, steht mir zu.«

»Über Musik zu sprechen, steht mir zu.«

»Sonderbar. Immer Personen aus unkontrollierbaren Grenzbezirken führen bei uns das große Wort.«

»Ich bin Tscheche. Weiß aber, daß es ein deutsches Sprichwort gibt: ›Der Deutsche lüggt, wenn er höfflich wird.‹«

»Weshalb ich unter Umständen darauf verzichte.«

»En quoi vous réussissez à merveille.«

»Aber, meine Herren«, warf Pusch hier ein, den die ganze Streiterei natürlich entzückte, »könnten wir nicht das Kriegsbeil begraben? Proponiere: Begegnung auf halbem Wege; shaking hands. Nehmen Sie zurück, hüben und drüben.«

»Nie«, donnerte Cujacius.

»Jamais«, sagte Wrschowitz.

Und damit erhoben sich alle. Cujacius und Pusch hatten die Tête, Wrschowitz und Baron Planta folgten in einiger Entfernung. Szilagy war vorsichtigerweise abgeschwenkt.

Wrschowitz, immer noch in großer Erregung, mühte sich, dem jungen Graubündner auseinanderzusetzen, daß Cujacius ganz allgemein den Ruf eines Krakeelers habe. »Je vous assure, Monsieur le Baron, il est un fou et plus que ça – un blagueur.«

Baron Planta schwieg und schien seinen Begleiter im Stich lassen zu wollen. Aber er bekehrte sich, als er einen Augenblick danach von der Front her die mit immer steigender Heftigkeit ausgestoßenen Worte hörte: Kaschube, Wende, Böhmake.

35. Kapitel

Um dieselbe Stunde, wo sich die fünf Herren von der Barbyschen Hochzeitstafel entfernt hatten, waren auch Baron Berchtesgaden und Hofprediger Frommel aufgebrochen, so daß sich, außer dem Brautvater, nur noch der alte Stechlin im Hochzeitshause befand. Dieser hatte sich – Melusine war vom Bahnhofe noch nicht wieder da – vom Eßsaal her zunächst in das verwaiste Damenzimmer und von diesem aus auf die Loggia zurückgezogen, um da die Lichter im Strom sich spiegeln zu sehn und einen Zug frische Luft zu tun. An dieser Stelle fand ihn denn auch schließlich der alte Graf und sagte, nachdem er seinem Staunen über den gesundheitlich etwas gewagten Aufenthalt Ausdruck gegeben hatte: »Nun aber, mein lieber Stechlin, wollen wir endlich einen kleinen Schwatz haben und uns näher miteinander bekannt machen. Ihr Zug geht erst zehneinhalb; wir haben also noch beinah anderthalb Stunden.«

Und dabei nahm er Dubslavs Arm, um ihn in sein Wohnzimmer, das bis dahin als Estaminet gedient hatte, hinüberzuführen.

»Erlauben Sie mir«, fuhr er hier fort, »daß ich zunächst mein halb eingewickeltes und halb eingeschientes Elefantenbein auf einen Stuhl strecke; es hat mich all die Zeit über ganz gehörig gezwickt, und namentlich das Stehen vor dem Altar ist mir blutsauer geworden. Bitte, rücken Sie heran. Es ging während unsers kleinen Diners alles so rasch, und ich wette, Sie sind bei dem Kaffee ganz erheblich zu kurz gekommen. Der Moment, wo das Bier herumgereicht wird, ist in den Augen des modernen Menschen immer das wichtigste; da wird dann der Kaffeezeit manches abgeknapst.«

Und dabei drückte er auf den Knopf der Klingel.

»Jeserich, noch eine Tasse für Herrn von Stechlin und natürlich einen Kognak oder Curaçao oder lieber die ganze ›Benediktinerabtei‹ – Witz von Cujacius, für den Sie mich also

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