Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 195)
sagen? Aber jeder glückliche General ist immer eine Gefahr! Und unter Umständen auch noch andre. Sehen Sie sich den alten Sachsenwalder an, unseren Zivil-Wallenstein. Aus dem hätte schließlich doch Gott weiß was werden können.«
»Und Sie glauben«, warf der Graf hier ein, »an dieser scharfen Quitzow-Ecke wäre Kaiser Friedrich gescheitert?«
»Ich glaub’ es.«
»Hm, es läßt sich hören. Und wenn so, so wär’ es schließlich ein Glück, daß es nach den neunundneunzig Tagen anders kam und wir nicht vor diese Frage gestellt wurden.«
»Ich habe mit meinem Woldemar, der einen stark liberalen Zug hat (ich kann es nicht loben und mag’s nicht tadeln), oft über diese Sache gesprochen. Er war natürlich für Neuzeit, also für Experimente ... Nun hat er inzwischen das bessere Teil erwählt, und während wir hier sprechen, ist er schon über Trebbin hinaus. Sonderbar, ich bin nicht allzuviel gereist, aber immer, wenn ich an diesem märkischen Neste vorbeikam, hatt’ ich das Gefühl: ›jetzt wird es besser, jetzt bist du frei‹. Ich kann sagen, ich liebe die ganze Sandbüchse da herum, schon bloß aus diesem Grunde.«
Der alte Graf lachte behaglich. »Und Trebbin wird sich von dieser Ihrer Schwärmerei nichts träumen lassen. Übrigens haben Sie recht. Jeder lebt zu Hause mehr oder weniger wie in einem Gefängnis und will weg. Und doch bin ich eigentlich gegen das Reisen überhaupt und speziell gegen die Hochzeitsreiserei. Wenn ich so Personen in ein Coupé nach Italien einsteigen sehe, kommt mir immer ein Dankgefühl, dieses ›höchste Glück auf Erden‹ nicht mehr mitmachen zu müssen. Es ist doch eigentlich eine Qual, und die Welt wird auch wieder davon zurückkommen: über kurz oder lang wird man nur noch reisen, wie man in den Krieg zieht oder in einen Luftballon steigt, bloß von Berufs wegen. Aber nicht um des Vergnügens willen. Und wozu denn auch? Es hat keinen rechten Zweck mehr. In alten Zeiten ging der Prophet zum Berge, jetzt vollzieht sich das Wunder, und der Berg kommt zu uns. Das Beste vom Parthenon sieht man in London und das Beste von Pergamon in Berlin, und wäre man nicht so nachsichtig mit den lieben, nie zahlenden Griechen verfahren, so könnte man sich (am Kupfergraben) im Laufe des Vormittags in Mykenä und nachmittags in Olympia ergehn.«
»Ganz Ihrer Meinung, teuerster Graf. Aber doch zugleich auch ein wenig betrübt, Sie so dezidiert gegen alle Reiserei zu finden. Ich stand nämlich auf dem Punkte, Sie nach Stechlin hin einzuladen, in meine alte Kate, die meine guten Globsower unentwegt ein ›Schloß‹ nennen.«
»Ja, lieber Stechlin, Ihre ›Kate‹, das ist was andres. Und um Ihnen ganz die Wahrheit zu sagen, wenn Sie mich nicht eingeladen hätten (eigentlich ist es ja noch nicht geschehn, aber ich greife bereits vor), so hätt’ ich mich bei Ihnen angemeldet. Das war schon lange mein Plan.«
In diesem Augenblicke ging draußen die Klingel. Es war Melusine.
»Bringe den Vätern, respektive Schwiegervätern, allerschönste Grüße. Die Kinder sind jetzt mutmaßlich schon über Wittenberg. die große Luther- beziehungsweise Apfelkuchenstation, hinaus, und in weniger als zwei Stunden fahren sie in den Dresdener Bahnhof ein. O diese Glücklichen! Und