Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 245)

mit Woldemar auf das Flachdach hinaufzusteigen, und verlebte da, angesichts der vor ihnen ausgebreiteten Schönheit, eine glückliche Stunde. Von Sorrent kamen Fischerboote herüber, die Fischer sangen, und der Himmel war klar und blau; nur drüben aus dem Kegel des Vesuv stieg ein dünner Rauch auf, und von Zeit zu Zeit war es, als vernähme man ein dumpfes Rollen und Grollen.

»Hörst du’s?« fragte Armgard.

»Gewiß. Und ich weiß auch, daß man einen Ausbruch erwartet. Vielleicht erleben wir’s noch.«

»Das wäre herrlich.«

»Und dabei«, fuhr Woldemar fort, »komm’ ich von der eiteln Vorstellung nicht los, daß, wenn’s da drüben ernstlich anfängt, unser Stechlin mittut, wenn auch bescheiden. Es ist doch eine vornehme Verwandtschaft.«

Armgard nickte, und von der Uferstelle her, wo die Sorrentiner Fischer eben anlegten, klang es herauf:

Tre giorni son che Nina, che Nina,

In letto se ne sta ...

Am andern Tage, wie vorausgesagt, kam ein Brief von Melusine, diesmal aber nicht an die Schwester, sondern an Woldemar adressiert.

»Was ist?« fragte Armgard, der die Bewegung nicht entging, die Woldemar, während er las, zu bekämpfen suchte.

»Lies selbst.«

Und dabei gab er ihr den Brief mit der Todesanzeige des Alten.

An ein Eintreffen in Stechlin, um noch der Beisetzung beiwohnen zu können, war längst nicht mehr zu denken; der Begräbnistag lag zurück. So kam man denn überein, die Rückreise langsam, in Etappen über Rom, Mailand und München machen, aber an jedem Orte (denn beide sehnten sich heim) nicht länger als einen Tag verweilen zu wollen. Von Capri nahm Woldemar ein einziges Andenken mit, einen Kranz von Lorbeer und Oliven. »Den hat er sich verdient.« –

Die letzte Station war Dresden, und von hier aus war es denn auch, daß Woldemar ein paar kurze Zeilen an Lorenzen richtete.

»Lieber Lorenzen.

Seit einer halben Stunde sind wir in Dresden, und ich schreibe diese Zeilen angesichts des immer wieder schönen Bildes von der Terrasse aus, das auch auf den Verwöhntesten noch wirkt. Wir wollen morgen in aller Frühe von hier fort, sind um zehn in Berlin und um zwölf in Gransee. Denn ich will zunächst unser altes Stechlin wiedersehen und einen Kranz am Sarge niederlegen. Bitte sorgen Sie, daß mich ein Wagen auf der Station erwartet. Wenn ich auch Sie persönlich träfe, so wäre mir das das Erwünschteste. Es plaudert sich unterwegs so gut. Und von wem könnt’ ich mehr und zugleich Zuverlässigeres erfahren als von Ihnen, der Sie die letzten Tage mit durchlebt haben werden. Meine Frau grüßt herzlichst. Wie immer Ihr alter treu und dankbar ergebenster

Woldemar v. St.«

Um zwölf hielt der Zug auf Bahnhof Gransee. Woldemar sah schon vom Coupé aus den Wagen; aber statt Lorenzen war Krippenstapel da. Das war ihm zunächst nicht angenehm, aber er nahm es bald von der guten Seite. »Krippenstapel ist am Ende noch besser, weil er unbefangener ist und mit manchem weniger zurückhält. Lorenzen, wenn er dies Wort auch belächeln würde, hat einen diplomatischen Zug.«

In diesem Augenblick erfolgte die Begrüßung mit dem inzwischen herangetretenen »Bienenvater«, und alle drei bestiegen den Wagen, dessen Verdeck zurückgeschlagen war. Krippenstapel entschuldigte Lorenzen, »der wegen einer Trauung behindert sei«, und so wäre denn

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