Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 81)
Papa hat auch einzelnes, das er öfter erzählt.«
»Einzelnes?« lachte der alte Graf, »meine Tochter Armgard meint ›vieles‹.«
»Nein, Papa, ich meine einzelnes. Da gibt es denn doch ganz andre, zum Beispiel unser guter Baron. Und die Baronin sieht auch immer weg, wenn er anfängt. Aber lassen wir den Baron und seine Geschichten, und hören wir lieber von Herrn von Stechlins Ausfluge. Doktor Wrschowitz teilt gewiß meinen Geschmack.«
»Teile vollkommen.«
»Also, Herr von Stechlin«, fuhr Armgard fort. »Sie haben nach diesen Erklärungen unsres Freundes Wrschowitz einen freundlichen Zuhörer mehr, vielleicht sogar einen begeisterten. Auch für Papa möcht’ ich mich verbürgen. Wir sind ja eigentlich selber märkisch oder doch beinah und wissen trotzdem so wenig davon, weil wir immer draußen waren. Ich kenne wohl Saatwinkel und den Grunewald, aber das eigentliche brandenburgische Land, das ist doch noch etwas andres. Es soll alles so romantisch sein und so melancholisch, Sand und Sumpf und im Wasser ein paar Binsen oder eine Birke, dran das Laub zittert. Ist Ihre Ruppiner Gegend auch so?«
»Nein, Komtesse, wir haben viel Wald und See, die sogenannte Mecklenburgische Seenplatte.«
»Nun, das ist auch gut. Mecklenburg, wie mir die Berchtesgadens erst neulich versichert haben, hat auch seine Romantik.«
»Sehr warr. Habe gelesen ›Stromtid‹ und habe gelesen ›Franzosentid‹ ...«
»Und dann glaub’ ich auch zu wissen«, fuhr Armgard fort, »daß Sie Rheinsberg ganz in der Nähe haben. Ist es richtig? Und kennen Sie’s? Es soll so viel Interessantes bieten. Ich erinnere mich seiner aus meinen Kindertagen her, trotzdem wir damals in London lebten. Oder vielleicht auch gerade deshalb. Denn es war die Zeit, wo das Carlylesche Buch über Friedrich den Großen immer noch in Mode war und wo’s zum guten Ton gehörte, sich nicht bloß um die Terrasse von Sanssouci zu kümmern, sondern auch um Rheinsberg und den Orden de la générosité. Lebt das alles noch da? Spricht das Volk noch davon?«
»Nein, Komtesse, das ist alles fort. Und überhaupt, von dem großen König spricht im Rheinsbergischen niemand mehr, was auch kaum anders sein kann. Der große König war als Kronprinz nur kurze Zeit da, sein Bruder Heinrich aber fünfzig Jahre. Und so hat die Prinz-Heinrich-Zeit beklagenswerterweise die Kronprinzenzeit ganz erdrückt. Aber beklagenswert doch nicht in allem. Denn Prinz Heinrich war auch bedeutend und vor allem sehr kritisch. Was doch immer ein Vorzug ist.«
»Sehr warr, sehr warr«, unterbrach hier Wrschowitz.
»Er war sehr kritisch«, wiederholte Woldemar. »Namentlich auch gegen seinen Bruder, den König. Und die Malkontenten, deren es auch damals schon die Hülle und Fülle gab, waren beständig um ihn herum. Und dabei kommt immer was heraus.«
»Sehr warr, sehr warr ...«
»Denn zufriedene Hofleute sind allemal öd und langweilig, aber die Frondeurs, wenn die den Mund auftun, da kann man was hören, da tut sich einem was auf.«
»Gewiß«, sagte Armgard. »Aber trotzdem, Herr von Stechlin, ich kann das Frondieren nicht leiden. Frondeur ist doch immer nur der gewohnheitsmäßig Unzufriedene, und wer immer unzufrieden ist, der taugt nichts. Immer Unzufriedene sind dünkelhaft und oft boshaft dazu, und während sie sich über andre lustig machen, lassen sie selber viel zu wünschen übrig.«
»Sehr warr,