Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 82)

sehr warr, gnädigste Komtesse«, verbeugte sich Wrschowitz. »Aber wollen verzeihn, Komtesse, wenn ich trotzdem bin für Frondeur. Frondeur ist Krittikk, und wo Guttes sein will, muß sein Krittikk. Deutsche Kunst viel Krittikk. Erst muß sein Kunst, gewiß, gewiß, aber gleich danach muß sein Krittikk. Krittikk ist wie große Revolution. Kopf ab aus Prinzipp. Kunst muß haben ein Prinzipp. Und wo Prinzipp is, is Kopf ab.«

Alles schwieg, so daß dem Grafen nichts übrig blieb, als etwas verspätet seine halbe Zustimmung auszudrücken. Armgard ihrerseits beeilte sich, auf Rheinsberg zurückzukommen, das ihr, trotz des fatalen Zwischenfalls mit »Kopf ab«, im Vergleich zu vielleicht wiederkehrenden Musikgesprächen immer noch als wenigstens ein Nothafen erschien.

»Ich glaube«, sagte sie, »neben manchem andern auch mal von der Frauenfeindschaft des Prinzen gehört zu haben. Er soll – irre ich mich, so werden Sie mich korrigieren – ein sogenannter Misogyne gewesen sein. Etwas durchaus Krankhaftes in meinen Augen oder doch mindestens etwas sehr Sonderbares.«

»Sehr sonderbarr«, sagte Wrschowitz, während sich, unter huldigendem Hinblick auf Armgard, sein Gesicht wie verklärte.

»Wie gut, lieber Wrschowitz«, fuhr Armgard fort, »daß Sie, mein Wort bestätigend, für uns arme Frauen und Mädchen eintreten. Es gibt immer noch Ritter, und wir sind ihrer so sehr benötigt. Denn wie mir Melusine erzählt hat, sind die Weiberfeinde sogar stolz darauf, Weiberfeinde zu sein, und behandeln ihr Denken und Tun als eine höhere Lebensform. Kennen Sie solche Leute, Herr von Stechlin? Und wenn Sie solche Leute kennen, wie denken Sie darüber?«

»Ich betrachte sie zunächst als Unglückliche.«

»Das ist recht.«

»Und zum zweiten als Kranke. Der Prinz, wie Komtesse schon ganz richtig ausgesprochen haben, war auch ein solcher Kranker.«

»Und wie äußerte sich das? Oder ist es überhaupt nicht möglich, über das Thema zu sprechen?«

»Nicht ganz leicht, Komtesse. Doch in Gegenwart des Herrn Grafen und nicht zu vergessen auch in Gegenwart von Doktor Wrschowitz, der so schön und ritterlich gegen die Misogynität Partei genommen, unter solchem Beistande will ich es doch wagen.«

»Nun, das freut mich. Denn ich brenne vor Neugier.«

»Und will auch nicht länger ängstlich um die Sache herumgehen. Unser Rheinsberger Prinz war ein richtiger Prinz aus dem vorigen Jahrhundert. Die jetzigen sind Menschen; die damaligen waren nur Prinzen. Eine der Passionen unsers Rheinsberger Prinzen – wenn man will, in einer Art Gegensatz von dem, was schon gesagt wurde – war eine geheimnisvolle Vorliebe für jungfräuliche Tote, besonders Bräute. Wenn eine Braut im Rheinsbergischen, am liebsten auf dem Lande, gestorben war, so lud er sich zu dem Begräbnis zu Gast. Und eh’ der Geistliche noch da sein konnte (den vermied er), erschien er und stellte sich an das Fußende des Sarges und starrte die Tote an. Aber sie mußte geschminkt sein und aussehen wie das Leben.«

»Aber das ist ja schrecklich«, brach es beinahe leidenschaftlich aus Armgard hervor. »Ich mag diesen Prinzen nicht und seine ganze Fronde nicht. Denn die müssen ebenso gewesen sein. Das ist ja Blasphemie, das ist ja Gräberschändung, – ich muß das Wort aussprechen, weil ich so empört bin und nicht anders kann.«

Der alte Graf sah die Tochter an, und ein Freudenstrahl

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