Ungekürztes Werk "Irrungen, Wirrungen" von Theodor Fontane (Seite 77)

aufrichtete und nach ihr rief: »Lene …«

»Lene is nich da.«

»Wer is denn da?«

»Ich, Mutter Nimptsch. Ich, Frau Dörr.«

»Ach, Frau Dörr, das is recht. So, hierher; hier auf die Hutsche.«

Frau Dörr, gar nicht gewöhnt, sich kommandieren zu lassen, schüttelte sich ein wenig, war aber doch zu gutmütig, um dem Kommando nicht nachzukommen. Und so setzte sie sich denn auf die Fußbank.

Und sieh da, im selben Augenblick begann auch die alte Frau schon: »Ich will einen gelben Sarg haben un blauen Beschlag. Aber nich zu viel …«

»Gut, Frau Nimptsch.«

»Un ich will auf’n neuen Jakobikirchhof liegen, hintern Rollkrug un ganz weit weg nach Britz zu.«

»Gut, Frau Nimptsch.«

»Un gespart hab’ ich alles dazu, schon vordem, als ich noch sparen konnte. Un es liegt in der obersten Schublade. Un da liegt auch das Hemd un das Kamisol und ein Paar weiße Strümpfe mit N. Und dazwischen liegt es.«

»Gut, Frau Nimptsch. Es soll alles geschehn, wie Sie gesagt haben. Und is sonst noch was?«

Aber die Alte schien von Frau Dörrs Frage nichts mehr gehört zu haben, und ohne Antwort zu geben, faltete sie bloß die Hände, sah mit einem frommen und freundlichen Ausdruck zur Decke hinauf und betete: »Lieber Gott im Himmel, nimm sie in deinen Schutz und vergilt ihr alles, was sie mir alten Frau getan hat.«

»Ah, die Lene«, sagte Frau Dörr vor sich hin und setzte dann hinzu: »Das wird der liebe Gott auch, Frau Nimptsch, den kenn’ ich, und habe noch keine verkommen sehn, die so war wie die Lene und solch Herz und solche Hand hatte.«

Die Alte nickte, und ein freundlich Bild stand sichtlich vor ihrer Seele.

So vergingen Minuten, und als Lene zurückkam und vom Flur her an die Korridortür klopfte, saß Frau Dörr noch immer auf der Fußbank und hielt die Hand ihrer alten Freundin. Und jetzt erst, wo sie das Klopfen draußen hörte, ließ sie die Hand los und stand auf und öffnete.

Lene war noch außer Atem. »Er ist gleich hier … er wird gleich kommen.«

Aber die Dörr sagte nur: »Jott, die Doktors« und wies auf die Tote.

Zwanzigstes Kapitel

Käthes erster Reisebrief war in Köln auf die Post gegeben und traf, wie versprochen, am andern Morgen in Berlin ein. Die gleich mitgegebene Adresse rührte noch von Botho her, der jetzt, lächelnd und in guter Laune, den sich etwas fest anfühlenden Brief in Händen hielt. Wirklich, es waren drei mit blassem Bleistift und auf beiden Seiten beschriebene Karten in das Kuvert gesteckt worden, alle schwer lesbar, so daß Rien­äcker auf den Balkon hinaustrat, um das undeutliche Gekritzel besser entziffern zu können.

»Nun laß sehn, Käthe.«

Und er las:

»Brandenburg a. H., 8 Uhr früh. Der Zug, mein lieber Botho, hält hier nur drei Minuten, aber sie sollen nicht ungenutzt vorübergehen, nötigenfalles schreib’ ich unterwegs im Fahren weiter, so gut oder so schlecht es geht. Ich reise mit einer jungen, sehr reizenden Bankierfrau, Madame Salinger geb. Saling, aus Wien. Als ich mich über die Namensähnlichkeit wunderte, sagte sie: ›Joa, schaun S’, i hoab halt mei Kom’prativ g’heirat’t.‹ Sie spricht in einem fort dergleichen und geht trotz

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