Ungekürztes Werk "Irrungen, Wirrungen" von Theodor Fontane (Seite 90)

da, langsam, als ob er sich das Gefühl eines süßen Schmerzes verlängern wolle, ließ er jetzt Blatt auf Blatt auf die Herdstelle fallen und in Feuer aufgehen. Das letzte, was er in Händen hielt, war das Sträußchen, und während er sann und grübelte, kam ihm eine Anwandlung, als ob er jede Blume noch einmal einzeln betrachten und zu diesem Zwecke das Haarfädchen lösen müsse. Plötzlich aber, wie von abergläubischer Furcht erfaßt, warf er die Blumen den Briefen nach.

Ein Aufflackern noch, und nun war alles vorbei, verglommen. »Ob ich nun frei bin? … Will ich’s denn? Ich will es nicht. Alles Asche. Und doch gebunden.«

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Botho sah in die Asche. »Wie wenig und wie viel.« Und dann schob er den eleganten Kaminschirm wieder vor, in dessen Mitte sich die Nachbildung einer pompejanischen Wandfigur befand. Hundertmal war sein Auge darüber hinweggeglitten, ohne zu beachten, was es eigentlich sei, heute sah er es und sagte: »Minerva mit Schild und Speer. Aber Speer bei Fuß. Vielleicht bedeutet es Ruhe … Wär’ es so.« Und dann stand er auf, schloß das um seinen besten Schatz ärmer gewordene Geheimfach und ging wieder nach vorn.

Unterwegs, auf dem ebenso schmalen wie langen Korridore, traf er Köchin und Hausmädchen, die diesen Augenblick erst von einem Tiergartenspaziergange zurückkamen. Als er beide verlegen und ängstlich dastehen sah, überkam ihn ein menschlich Rühren, aber er bezwang sich und rief sich zu, wenn auch freilich mit einem Anfluge von Ironie, daß endlich einmal ein Exempel statuiert werden müsse. So begann er denn, so gut er konnte, die Rolle des donnernden Zeus zu spielen. Wo sie nur gesteckt hätten? Ob das Ordnung und gute Sitte sei? Er habe nicht Lust, der gnädigen Frau, wenn sie zurückkomme (vielleicht heute schon), einen aus Rand und Band gegangenen Hausstand zu überliefern. Und der Bursche? »Nun, ich will nichts wissen, nichts hören, am wenigsten Entschuldigungen.« Und als dies heraus war, ging er weiter und lächelte, zumeist über sich selbst. »Wie leicht ist doch predigen, und wie schwer ist danach handeln und tun. Armer Kanzelheld ich! Bin ich nicht selbst aus Rand und Band? Bin ich nicht selber aus Ordnung und guter Sitte? Daß es war, das möchte gehn, aber daß es noch ist, das ist das Schlimme.«

Dabei nahm er wieder seinen Platz auf dem Balkon und klingelte. Jetzt kam auch der Bursche, fast noch ängstlicher und verlegener als die Mädchen, aber es hatte keine Not mehr, das Wetter war vorüber. »Sage der Köchin, daß ich etwas essen will. Nun, warum stehst du noch? Ah, ich sehe schon« – und er lachte –, »nichts im Hause. Trifft sich alles vorzüglich … – Also Tee; bringe mir Tee, der wird doch wohl da sein. Und laß ein paar Schnitten machen; alle Wetter, ich habe Hunger … Und sind die Abendzeitungen schon da?«

»Zu Befehl, Herr Rittmeister.«

Nicht lange, so war der Teetisch draußen auf dem Balkon serviert, und selbst ein Imbiß hatte sich gefunden. Botho saß zurückgelehnt in den Schaukelstuhl und starrte nachdenklich in die kleine blaue Flamme. Dann nahm er zunächst

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