Ungekürztes Werk "Irrungen, Wirrungen" von Theodor Fontane (Seite 92)

schlug eben zwölf, als er sich in den Sattel hob und nach Passierung erst der »Linden« und gleich danach der Luisenstraße schließlich in einen neben dem Kanal hinlaufenden Weg einbog, der weiterhin seine Richtung auf Plötzensee zu nahm. Dabei kam ihm der Tag wieder in Erinnerung, an dem er hier auch herumgeritten war, um sich Mut für den Abschied von Lene zu gewinnen, für den Abschied, der ihm so schwer ward und der doch sein mußte. Das war nun drei Jahre. Was lag alles dazwischen? Viel Freude; gewiß. Aber es war doch keine rechte Freude gewesen. Ein Bonbon, nicht viel mehr. Und wer kann von Süßigkeiten leben!

Er hing dem noch nach, als er auf einem von der Jungfernheide her nach dem Kanal hinüberführenden Reitwege zwei Kameraden herankommen sah, Ulanen, wie die deutlich erkennbaren Tschapkas schon von fernher verrieten. Aber wer waren sie? Freilich, die Zweifel auch darüber konnten nicht lange währen, und noch ehe man sich von hüben und drüben bis auf hundert Schritte genähert hatte, sah Botho, daß es die Rexins waren, Vettern und beide vom selben Regiment.

»Ah Rienäcker«, sagte der Ältere. »Wohin?«

»So weit der Himmel blau ist.«

»Das ist mir zu weit.«

»Nun dann bis Saatwinkel.«

»Das läßt sich hören. Da bin ich mit von der Partie, vorausgesetzt, daß ich nicht störe … Kurt« – und hiermit wandt’ er sich an seinen jüngeren Begleiter –, »Pardon! Aber ich habe mit Rienäcker zu sprechen. Und unter Umständen …«

»… spricht sich’s besser zu zweien. Ganz nach deiner Bequemlichkeit, Bozel«, und dabei grüßte Kurt von Rexin und ritt weiter. Der mit Bozel angeredete Vetter aber warf sein Pferd herum, nahm die linke Seite neben dem ihm in der Rangliste weit vorstehenden Rienäcker und sagte : »Nun denn also Saatwinkel. In die Tegeler Schußlinie werden wir ja wohl nicht einreiten.«

»Ich werd’ es wenigstens zu vermeiden suchen«, entgegnete Rienäcker, »erstens mir selbst und zweitens Ihnen zuliebe. Und drittens und letztens um Henriettens willen. Was würde die schwarze Henriette sagen, wenn ihr ihr Bogislaw totgeschossen würde und noch dazu durch eine befreundete Granate?«

»Das würd’ ihr freilich einen Stich ins Herz geben«, erwiderte Rexin, »und ihr und mir einen Strich durch die Rechnung machen.«

»Durch welche Rechnung?«

»Das ist eben der Punkt, Rienäcker, über den ich mit Ihnen sprechen wollte.«

»Mit mir? Und von welchem Punkte?«

»Sie sollten es eigentlich erraten und ist auch nicht schwer. Ich spreche natürlich von einem Verhältnis, meinem Verhältnis.«

»Verhältnis!« lachte Botho. »Nun, ich stehe zu Diensten, Rexin. Aber offen gestanden, ich weiß nicht recht, was speziell mir Ihr Vertrauen einträgt. Ich bin nach keiner Seite hin, am wenigsten aber nach dieser, eine besondere Weisheitsquelle. Da haben wir ganz andere Autoritäten. Eine davon kennen Sie gut. Noch dazu Ihr und Ihres Vetters besonderer Freund.«

»Balafré?«

»Ja.«

Rexin fühlte was von Nüchternheit und Ablehnung heraus und schwieg einigermaßen verstimmt. Das aber war mehr, als Botho bezweckt hatte, weshalb er sofort wieder einlenkte. »Verhältnisse. Pardon, Rexin, es gibt ihrer so viele.«

»Gewiß. Aber so viel ihrer sind, so verschieden sind sie auch.«

Botho zuckte mit den Achseln und lächelte. Rexin aber, sichtlich gewillt, sich nicht

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