Ungekürztes Werk "Lyrik in Auswahl" von Theodor Fontane (Seite 2)
Der Trinker
(Nach Rob. Nicoll)
Sie schicken sich zum Festmahl an
Und schenken jubelnd ein,
»Vergnügen« suchen sie, doch ich
»Vergessen« nur im Wein.
Von Not und Elend will ich frei
Und frei von Sorgen sein,
Von Armut, Frost und Hunger frei, –
Und darum schenk’ ich ein.
Durch meine Lumpenkleidung pfeift
Der rauhe, kalte Wind,
Seit ich mein letztes Brot verzehrt,
Zwei Tag’ vorüber sind; –
Ein einzig’ Glas, und sieh! – ich bin
Mit Purpur angetan,
Und seh’ den leeren Tisch besetzt
Wohl gar mit Goldfasan.
Mein Weib, zerlumpt, erbettelt sich
Ihr Brot von Haus zu Haus
Und ruht auf bloßer Erde nachts
Bei ihren Kindern aus;
Sie trinkt wie ich; warum? – es frommt
Der Trank ihr ebenso,
Die blassen Kinder scheinen ihr
Statt hungrig – satt und froh.
Was auf dem Leib, was in dem Leib,
So habt gut reden ihr,
Doch anders kläng’ es, – wär’t ihr so
Halbnackt und arm, wie wir.
Daß elend ich, was liegt daran!
Drum lebt ja unserein,
Brot ist nicht da; – komm Weib und trink
Und laß uns lustig sein!
[1843]