Ungekürztes Werk "Schach von Wuthenow" von Theodor Fontane (Seite 2)
Bülow dasitzt. Er brütet mal wieder Sturm; Victoire, reiche Herrn von Bülow von den Karlsbader Oblaten. Es ist, glaub ich, das einzige, was er von Österreich gelten läßt. Inzwischen unterhält uns Herr Sander von unsern Fortschritten in der neuen Provinz. Ich fürchte nur, daß sie nicht groß sind.”
“Oder sagen wir lieber, gar nicht existieren”, erwiderte Sander. “Alles, was zum welfischen Löwen oder zum springenden Roß hält, will sich nicht preußisch regieren lassen. Und ich verdenk es keinem. Für die Polen reichten wir allenfalls aus. Aber die Hannoveraner sind feine Leute.”
“Ja, das sind sie”, bestätigte Frau von Carayon, während sie gleich danach hinzufügte: “Vielleicht auch etwas hochmütig.”
“Etwas!” lachte Bülow. “Oh, meine Gnädigste, wer doch allzeit einer ähnlichen Milde begegnete. Glauben Sie mir, ich kenne die Hannoveraner seit lange, hab ihnen in meiner Altmärkereigenschaft sozusagen von Jugend auf über den Zaun geguckt und darf Ihnen danach versichern, daß alles das, was mir England so zuwider macht, in diesem welfischen Stammlande doppelt anzutreffen ist. Ich gönn ihnen deshalb die Zuchtrute, die wir ihnen bringen. Unsere preußische Wirtschaft ist erbärmlich, und Mirabeau hatte recht, den gepriesenen Staat Friedrichs des Großen mit einer Frucht zu vergleichen, die schon faul sei, bevor sie noch reif geworden, aber faul oder nicht, eines haben wir wenigstens: ein Gefühl davon, daß die Welt in diesen letzten fünfzehn Jahren einen Schritt vorwärts gemacht hat, und daß sich die großen Geschicke derselben nicht notwendig zwischen Nuthe und Notte vollziehen müssen. In Hannover aber glaubt man immer noch an eine Spezialaufgabe Kalenbergs und der Lüneburger Heide. Nomen est omen. Es ist der Sitz der Stagnation, eine Brutstätte der Vorurteile. Wir wissen wenigstens, daß wir nichts taugen, und in dieser Erkenntnis ist die Möglichkeit der Besserung gegeben. Im einzelnen bleiben wir hinter ihnen zurück, zugegeben, aber im ganzen sind wir ihnen voraus, und darin steckt ein Anspruch und ein Recht, die wir geltend machen müssen. Daß wir, trotz Sander, in Polen eigentlich gescheitert sind, beweist nichts; der Staat strengte sich nicht an und hielt seine Steuereinnehmer gerade für gut genug, um die Kultur nach Osten zu tragen. Insoweit mit Recht, als selbst ein Steuereinnehmer die Ordnung vertritt, wenn auch freilich von der unangenehmen Seite.”
Victoire, die von dem Augenblick an, wo Polen mit ins Gespräch gezogen worden war, ihren Platz am Teetisch aufgegeben hatte, drohte jetzt zu dem Sprecher hinüber und sagte: “Sie müssen wissen, Herr von Bülow, daß ich die Polen liebe, sogar de tout mon cœur.” Und dabei beugte sie sich aus dem Schatten in den Lichtschein der Lampe vor, in dessen Helle man jetzt deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil einst dem der Mutter geglichen haben mochte, durch zahlreiche Blatternarben aber um seine frühere Schönheit gekommen war.
Jeder mußt es sehen, und der einzige, der es nicht sah oder, wenn er es sah, als absolut gleichgültig betrachtete, war Bülow. Er wiederholte nur: “O ja, die Polen. Es sind die besten Mazurkatänzer, und darum lieben Sie sie.”
“Nicht doch. Ich liebe sie, weil sie ritterlich und unglücklich sind.”
“Auch das. Es läßt sich dergleichen