Ungekürztes Werk "Schach von Wuthenow" von Theodor Fontane (Seite 5)

war, uns seinen Besuch zu machen? Eine Berühmtheit. Und von der Rahel Lewin uns zugewiesen.”

“Also der Prinz”, sagte Alvensleben.

“O nein, berühmter oder doch wenigstens tagesberühmter. Der Prinz ist eine etablierte Zelebrität, und Zelebritäten, die zehn Jahre gedauert haben, sind keine mehr ... Ich will Ihnen übrigens zu Hilfe kommen, es geht ins Literarische hinüber, und so möcht ich denn auch annehmen, daß uns Herr Sander das Rätsel lösen wird.”

“Ich will es wenigstens versuchen, gnädigste Frau, wobei mir Ihr Zutrauen vielleicht eine gewisse Weihekraft, oder sagen wir's lieber rund heraus, eine gewisse ‚Weihe der Kraft‘ verleihen wird.”

“Oh, vorzüglich. Ja, Zacharias Werner war hier. Leider waren wir aus, und so sind wir denn um den uns zugedachten Besuch gekommen. Ich hab es sehr bedauert.”

“Sie sollten sich umgekehrt beglückwünschen, einer Enttäuschung entgangen zu sein”, nahm Bülow das Wort. “Es ist selten, daß die Dichter der Vorstellung entsprechen, die wir uns von ihnen machen. Wir erwarten einen Olympier, einen Nektar- und Ambrosiamann, und sehen statt dessen einen Gourmand einen Putenbraten verzehren; wir erwarten Mitteilungen aus seiner geheimsten Zwiesprach mit den Göttern und hören ihn von seinem letzten Orden erzählen oder wohl gar die allergnädigsten Worte zitieren, die Serenissimus über das jüngste Kind seiner Muse geäußert hat. Vielleicht auch Serenissima, was immer das denkbar Albernste bedeutet.”

“Aber doch schließlich nichts Alberneres als das Urteil solcher, die den Vorzug haben, in einem Stall oder einer Scheune geboren zu sein”, sagte Schach spitz.

“Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern, mein sehr verehrter Herr von Schach, auch auf diesem Gebiete widersprechen. Der Unterschied, den Sie bezweifeln, ist wenigstens nach meinen Erfahrungen tatsächlich vorhanden, und zwar, wie Sie mir zu wiederholen gestatten wollen, zu Nichtgunsten von Serenissimus. In der Welt der kleinen Leute steht das Urteil an und für sich nicht höher, aber die verlegene Bescheidenheit, darin sich's kleidet, und das stotternde Schlechte-Gewissen, womit es zutage tritt, haben allemal etwas Versöhnendes. Und nun spricht der Fürst! Er ist der Gesetzgeber seines Landes in all und jedem, in großem und kleinem, also natürlich auch in Aestheticis. Wer über Leben und Tod entscheidet, sollte der nicht auch über ein Gedichtchen entscheiden können? Ah, bah! Er mag sprechen, was er will, es sind immer Tafeln direkt vom Sinai. Ich habe solche zehn Gebote mehr als einmal verkünden hören und weiß seitdem, was es heißt: regarder dans le Néant.”

“Und doch stimm ich der Mama bei”, bemerkte Victoire, der daran lag, das Gespräch auf seinen Anfang, auf das Stück und seinen Dichter also, zurückzuführen. “Es wäre mir wirklich eine Freude gewesen, den ‚tagesberühmten Herrn‘, wie Mama ihn einschränkend genannt hat, kennenzulernen. Sie vergessen, Herr von Bülow, daß wir Frauen sind, und daß wir als solche ein Recht haben, neugierig zu sein. An einer Berühmtheit wenig Gefallen zu finden, ist schließlich immer noch besser, als sie gar nicht gesehen zu haben.”

“Und wir werden ihn in der Tat nicht mehr sehen, in aller Bestimmtheit nicht”, fügte Frau von Carayon hinzu. “Er verläßt Berlin in den nächsten Tagen schon und war überhaupt nur hier, um den ersten Proben seines

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