Ungekürztes Werk "Schach von Wuthenow" von Theodor Fontane (Seite 6)

Stückes beizuwohnen.”

“Was also heißt”, warf Alvensleben ein, “daß an der Aufführung selbst nicht länger mehr zu zweifeln ist.”

“Ich glaube, nein. Man hat den Hof dafür zu gewinnen oder wenigstens alle beigebrachten Bedenken niederzuschlagen gewußt.”

“Was ich unbegreiflich finde”, fuhr Alvensleben fort. “Ich habe das Stück gelesen. Er will Luther verherrlichen, und der Pferdefuß des Jesuitismus guckt überall unter dem schwarzen Doktormantel hervor. Am rätselhaftesten aber ist es mir, daß sich Iffland dafür interessiert, Iffland, ein Freimaurer.”

“Woraus ich einfach schließen möchte, daß er die Hauptrolle hat”, erwiderte Sander. “Unsere Prinzipien dauern gerade so lange, bis sie mit unsern Leidenschaften oder Eitelkeiten in Konflikt geraten, und ziehen dann jedesmal den kürzeren. Er wird den Luther spielen wollen. Und das entscheidet.”

“Ich bekenne, daß es mir widerstrebt”, sagte Victoire, “die Gestalt Luthers auf der Bühne zu sehen. Oder geh ich darin zu weit?”

Es war Alvensleben, an den sich die Frage gerichtet hatte. “Zu weit? Oh, meine teuerste Victoire, gewiß nicht. Sie sprechen mir ganz aus dem Herzen. Es sind meine frühesten Erinnerungen, daß ich in unserer Dorfkirche saß und mein alter Vater neben mir, der alle Gesangbuchsverse mitsang. Und links neben dem Altar da hing unser Martin Luther in ganzer Figur, die Bibel im Arm, die Rechte darauf gelegt, ein lebensvolles Bild, und sah zu mir herüber. Ich darf sagen, daß dies ernste Mannesgesicht an manchem Sonntage besser und eindringlicher zu mir gepredigt hat als unser alter Kluckhuhn, der zwar dieselben hohen Backenknochen und dieselben weißen Päffchen hatte wie der Reformator, aber auch weiter nichts. Und diesen Gottesmann, nach dem wir uns nennen und unterscheiden, und zu dem ich nie anders als in Ehrfurcht und Andacht aufgeschaut habe, den will ich nicht aus den Kulissen oder aus einer Hintertür treten sehen. Auch nicht, wenn Iffland ihn gibt, den ich übrigens schätze, nicht bloß als Künstler, sondern auch als Mann von Grundsätzen und guter preußischer Gesinnung.”

“Pectus facit oratorem”, versicherte Sander, und Victoire jubelte. Bülow aber, der nicht gern neue Götter neben sich duldete, warf sich in seinen Stuhl zurück und sagte, während er sein Kinn und seinen Spitzbart strich: “Es wird Sie nicht überraschen, mich im Dissens zu finden.”

“Oh, gewiß nicht”, lachte Sander.

“Nur dagegen möcht ich mich verwahren, als ob ich durch einen solchen Dissens irgendwie den Anwalt dieses pfäffischen Zacharias Werner zu machen gedächte, der mir in seinen mystisch-romantischen Tendenzen einfach zuwider ist. Ich bin niemandes Anwalt ...”

“Auch nicht Luthers?” fragte Schach ironisch.

“Auch nicht Luthers!”

“Ein Glück, daß er dessen entbehren kann ...”

“Aber auf wie lange?” fuhr Bülow sich aufrichtend fort. “Glauben Sie mir, Herr von Schach, auch er ist in der Dekadenz, wie so viel anderes mit ihm, und über ein kleines wird keine Generalanwaltschaft der Welt ihn halten können.”

“Ich habe Napoleon von einer ‚Episode Preußen‘ sprechen hören”, erwiderte Schach. “Wollen uns die Herren Neuerer, und Herr von Bülow an ihrer Spitze, vielleicht auch mit einer ‚Episode Luther‘ beglücken?”

“Es ist so. Sie treffen es. Übrigens sind nicht wir es, die dies Episodentum schaffen wollen. Dergleichen schafft nicht der einzelne, die Geschichte schafft es. Und dabei

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