Ungekürztes Werk "Schach von Wuthenow" von Theodor Fontane (Seite 7)

wird sich ein wunderbarer Zusammenhang zwischen der Episode Preußen und der Episode Luther herausstellen. Es heißt auch da wieder: ‚Sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist‘. Ich bekenne, daß ich die Tage Preußens gezählt glaube, und ‚wenn der Mantel fällt, muß der Herzog nach‘. Ich überlaß es Ihnen, die Rollen dabei zu verteilen. Die Zusammenhänge zwischen Staat und Kirche werden nicht genugsam gewürdigt; jeder Staat ist in gewissem Sinne zugleich auch ein Kirchenstaat; er schließt eine Ehe mit der Kirche, und soll diese Ehe glücklich sein, so müssen beide zueinander passen. In Preußen passen sie zueinander. Und warum? Weil beide gleich dürftig angelegt, gleich eng geraten sind. Es sind Kleinexistenzen, beide bestimmt, in etwas Größerem auf- oder unterzugehen. Und zwar bald. Hannibal ante portas.”

“Ich glaubte, Sie dahin verstanden zu haben”, erwiderte Schach, “daß uns Graf Haugwitz nicht den Untergang, wohl aber die Rettung und den Frieden gebracht habe.”

“Das hat er. Aber er kann unser Geschick nicht wenden, wenigstens auf die Dauer nicht. Dies Geschick heißt Einverleibung in das Universelle. Der nationale wie der konfessionelle Standpunkt sind hinschwindende Dinge, vor allem aber ist es der preußische Standpunkt und sein alter ego, der lutherische. Beide sind künstliche Größen. Ich frage, was bedeuten sie? welche Missionen erfüllen sie? Sie ziehen Wechsel aufeinander, sie sind sich gegenseitig Zweck und Aufgabe, das ist alles. Und das soll eine Weltrolle sein? Was hat Preußen der Welt geleistet? Was find ich, wenn ich nachrechne? Die großen Blauen König Friedrich Wilhelms I., den eisernen Ladestock, den Zopf und jene wundervolle Moral, die den Satz erfunden hat, ‚ich hab ihn an die Krippe gebunden, warum hat er nicht gefressen?‘”

“Gut, gut. Aber Luther ...”

“Nun wohl denn, es geht eine Sage, daß mit dem Manne von Wittenberg die Freiheit in die Welt gekommen sei, und beschränkte Historiker haben es dem nord-deutschen Volke so lange versichert, bis man's geglaubt hat. Aber was hat er denn in Wahrheit in die Welt gebracht? Unduldsamkeit und Hexenprozesse, Nüchternheit und Langeweile. Das ist kein Kitt für Jahrtausende. Jener Weltmonarchie, der nur noch die letzte Spitze fehlt, wird auch eine Weltkirche folgen, denn wie die kleinen Dinge sich finden und im Zusammenhange stehen, so die großen noch viel mehr. Ich werde mir den Bühnen-Luther nicht ansehen, weil er mir in dieses Herren Zacharias Werner Verzerrung einfach ein Ding ist, das mich ärgert; aber ihn nicht ansehen, weil es Anstoß gebe, weil es Entheiligung sei, das ist mehr, als ich fassen kann.”

“Und wir, lieber Bülow”, unterbrach Frau von Carayon, “wir werden ihn uns ansehen, trotzdem es uns Anstoß gibt. Victoire hat recht, und wenn bei Iffland die Eitelkeit stärker sein darf als das Prinzip, so bei uns die Neugier. Ich hoffe, Herr von Schach und Sie, lieber Alvensleben, werden uns begleiten. Übrigens sind ein paar der eingelegten Lieder nicht übel. Wir erhielten sie gestern. Victoire, du könntest uns das ein' oder andere davon singen.”

“Ich habe sie kaum durchgespielt.”

“Oh, dann bitt ich um so mehr”, bemerkte Schach. “Alle Salonvirtuosität ist mir verhaßt.

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