Interpretation "Effi Briest" von Theodor Fontane (Seite 2)

Aber wie kommt es zu dieser Katastrophe? Unübersehbar ist eine der Ursachen in Effis Charakter angelegt – denn obwohl ihr eindeutig die Sympathie des impliziten Erzählers gilt, ist sie doch ein typisches Beispiel für Fontanes im Alter zunehmend kritischer werdende Haltung gegenüber der bürgerlichen Frau. Einer Leserin schreibt er: "Ja, Effi! Alle Leute sympathisieren mit ihr und Einige gehen so weit, im Gegensatze dazu, den Mann als einen 'alten Ekel' zu bezeichnen. Das amüsiert mich natürlich, giebt mir aber auch zu denken, weil es wieder beweist, wie wenig den Menschen an der sogenannten 'Moral' liegt und wie die liebenswürdigen Naturen dem Menschenherzen sympathischer sind. [...] Denn eigentlich ist er doch in jedem Anbetracht ein ganz ausgezeichnetes Menschenexemplar, dem es an dem, was man lieben muß, durchaus nicht fehlt."

Dem heutigen Leser, dem das Ritual des Duells völlig fremd ist, mag Innstetten noch unsympathischer erscheinen als den Zeitgenossen und Effi daher noch unschuldiger und bemitleidenswerter. Doch der Text präsentiert sie keineswegs ausschließlich als Opfer, weder einer besonderen Grausamkeit Innstettens noch der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Einer von Effis hervorstechenden Charakterzügen ist zweifellos ihre Eitelkeit. Allerdings wird schon zu Beginn des Romans deutlich gemacht, dass ihr Ehrgeiz, etwas Besonderes zu sein, ein von der Mutter übernommener Anspruch ist: Als Innstetten um Effis Hand anhält, treibt Luise von Briest ihre Tochter regelrecht in die Ehe: "[...] und wenn du nicht 'nein' sagst, was ich mir von meiner klugen Effi kaum denken kann, so stehst du mit zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig stehen. Du wirst deine Mama weit überholen." Dieser Ratschlag fällt bei Effi auf fruchtbaren Boden. War sie vorher noch der Meinung, Innstetten sei 'ältlich', so verkündet sie kurz darauf: "Gewiß ist er der Richtige. [...]. Jeder ist der Richtige. Natürlich muß er von Adel sein und eine Stellung haben und gut aussehen." Und als ihre Mutter sie fragt, ob sie Innstetten denn nicht liebe, antwortet sie: "Ich liebe alle, die’s gut mit mir meinen und gütig gegen mich sind und mich verwöhnen. Und Geert wird mich auch wohl verwöhnen. [...] Geert ist ein Mann, ein schöner Mann, ein Mann, mit dem ich Staat machen kann und aus dem was wird in der Welt."

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