Interpretation "Lyrik in Auswahl" von Theodor Fontane (Seite 2)

Eine ganz andere Thematik greift das Gedicht Bekenntnis auf: das Leiden an der eigenen Labilität und dem beständigen Schwanken besonders im Bereich des religiösen Glaubens. Fontane ist sich, wie dieses Gedicht belegt, der Tatsache bewusst, dass seine Überzeugungen ungefestigt sind und zwischen verschiedenen Positionen hin- und herpendeln.

Doch die Ballade bleibt sein wichtigstes Genre. Archibald Douglas besingt die unbedingte Treue eines alten Mannes zu seinem König, die die Feindschaft zwischen den Familien überwindet. Die sentimentale Geschichte vom alten Grafen, der in Ungnade gefallen ist und sich nichts sehnlicher wünscht, als von seinem König wieder in Dienst genommen zu werden, deutet auf ein starkes Bedürfnis nach Autorität hin. Der König erhält hier die Funktion eines gnädigen Gottes, bei dem der Sünder, wenn er nur genug bereut, Vergebung erlangen kann.

Die Ballade Die Brück’ am Tay bezieht sich auf ein schweres Eisenbahnunglück bei Dundee am 28. Dezember 1879. Die Brücke gilt als Wunderwerk der modernen Technik, und die Katastrophe fordert viele Menschenleben. Fontane kennt die Umgebung des Tay von seiner eigenen Schottlandreise. Durch das Shakespeare-Zitat werden die Stürme den Hexen aus Macbeth angenähert, das Unglück wird zur Rache der Natur an den Menschen stilisiert.

Auch die Ballade John Maynard handelt von einer Katastrophe, die allerdings durch den heldenhaften Opfermut eines einzelnen gerade noch einmal abgewendet werden kann. Fontanes Quelle ist vermutlich ein 1875 erschienenes Gedicht eines amerikanischen Autors, in dem auch der Name John Maynard verwendet wird. Diesem Gedicht liegt wiederum ein von einem unbekannten Autor ebenfalls in englischer Sprache abgefasstes Prosastück aus dem Jahr 1845 zugrunde, das sich auf ein Schiffsunglück auf dem Eriesee im Jahr 1841 bezieht. Auch dieses Unglück fordert viele Menschenleben, der Steuermann überlebt allerdings mit schweren Verbrennungen und stirbt erst im Jahre 1900. Bereits das Gedicht, das Fontane als Vorlage dient, weicht von der historischen Vorlage ab und macht den Steuermann zum Helden, der in treuer Pflichterfüllung den Tod findet, dabei aber seine Passagiere rettet. Das Thema des Opfermuts und der heroischen Pflichterfüllung erinnert an die Heldenverehrung der historischen Balladen Fontanes; offensichtlich geht es hier um den Beleg, dass auch in der modernen technischen Zivilisation noch wahres Heldentum möglich ist.

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