Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 2)

so viel Gravität und Anstand, daß er bis auf die blauen Augen und sein blühendes Kindergesicht vollkommen aussah wie ein kleiner Herr im Staatsdienst. Unartig war er so selten, daß der Teil des weiblichen Ostrau, welcher einer düsteren Auffassung des Erdenlebens geneigt war, lange zweifelte, ob ein solches Kind heranwachsen könne; bis Anton endlich einmal den Sohn des Landrats auf offener Straße durchprügelte und durch diese Untat seine Aussichten auf das Himmelreich in eine behagliche Ferne zurückhämmerte. Kurz, er war ein so ungewöhnlicher Knabe, wie nur je das einzige Kind warmherziger Eltern gewesen ist. Auch in der Bürgerschule und später im Gymnasium wurde er ein Muster für andere und ein Stolz seiner Familie. Und da der Zeichenlehrer behauptete, Anton müsse Maler werden, und der Ordinarius von Tertia dem Vater riet, ihn Philologie studieren zu lassen, so wäre der Knabe seiner zahlreichen Anlagen wegen wahrscheinlich in die gewöhnliche Gefahr ausgezeichneter Kinder gekommen, für keine einzige Tätigkeit den rechten Ernst zu finden, wenn nicht ein Zufall seinen Beruf bestimmt hätte.

An jedem Weihnachtsfest wurde durch die Post eine Kiste in das Haus des Kalkulators befördert, worin ein Hut des feinsten Zuckers und ein großes Paket Kaffee standen. Gewöhnlichen Zucker ließ der Hausherr durch seine Frau kleinschlagen, diesen Zuckerhut zerbrach er selbst mit vielem Kraftaufwand in einer feierlichen Handlung und freute sich über die viereckigen Würfel, welche seine Kunst hervorzubringen vermochte. Der Kaffee dagegen wurde von der Frau Kalkulatorin eigenhändig gebrannt, und sehr angenehm war das Selbstgefühl, mit welchem der würdige Hausherr die erste Tasse dieses Kaffees trank. Das waren Stunden, wo ein poetischer Duft, der so oft durch die Seelen der Kinder zieht, das ganze Haus erfüllte. Der Vater erzählte dann gern seinem Sohne die Geschichte dieser Sendungen. Vor vielen Jahren hatte der Kalkulator in einem bestäubten Aktenbündel, das von den Gerichten und der Menschheit bereits aufgegeben war, ein Dokument gefunden, worin ein großer Gutsbesitzer aus Posen erklärte, einem bekannten Handelshause der Hauptstadt mehrere tausend Taler zu schulden. Offenbar war der Schuldschein in kriegerischer und ungesetzmäßiger Zeit in ein falsches Aktenheft verlegt worden. Er hatte den Fund am gehörigen Orte angezeigt, und das Handelshaus war dadurch in den Stand gesetzt worden, einen verzweifelten Rechtsstreit gegen die Erben des Schuldners zu gewinnen. Darauf hatte der junge Chef der Handlung sich angelegentlich nach dem Finder des Dokuments erkundigt und demselben einen artigen Brief geschrieben, der Kalkulator hatte, wie seine Art war, sehr bestimmt allen Dank abgelehnt, weil er nur seine Amtspflicht erfüllt habe. Von da ab erschien an jeder Weihnacht die erwähnte Sendung mit einem kurzen herzlichen Begleitschreiben und wurde jedesmal umgehend durch ein kalligraphisches Kunstwerk des Kalkulators erwidert, worin dieser unermüdlich seine Überraschung über die unerwartete Sendung ausdrückte und der Firma zum neuen Jahr aus voller Seele Gutes wünschte. Selbst seiner Frau gegenüber behandelte der Herr die Weihnachtssendung als einen Zufall, eine Kleinigkeit, ein Nichts, welches von der Laune eines Kommis der Firma T. O. Schröter abhänge, und jedes Jahr protestierte er eifrig, wenn die Frau Kalkulatorin die zu erwartende Kiste bei ihren Wirtschaftsplänen

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