Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 5)

Hundert zog. Hatte er auf diese Weise ein kolossales Vermögen zusammengescharrt, so ging er in den Garten, ein kleines dünnleibiges Buch in der Hand, welches auf dem Titel versprach, ihn in vier Wochen zu einem fertigen Engländer zu machen. Dort bemühte er sich zum Entsetzen der deutschen Sperlinge und Finken, das A und andere ehrliche Buchstaben auf jede Weise auszusprechen, welche dem Menschen möglich ist, wenn er einen Buchstaben anders ausspricht, als sich mit der Natur und dem Charakter desselben verträgt.

So ging wieder ein Jahr hin, Anton war gerade achtzehn Jahre alt und hatte seine Abiturientenprüfung bestanden; da wurden wieder einmal an einem Morgen die Fensterladen des Kalkulators nicht zu gehöriger Zeit geöffnet, wieder rannte das Dienstmädchen mit verweinten Augen durch das Haus, und wieder schüttelte die Nachtlampe unzufrieden und kummervoll ihre feurige Mütze. Diesmal lag der alte Herr selbst im Bett, und Anton saß vor demselben, beide Hände des Vaters haltend. Der alte Herr aber ließ sich nicht festhalten, sondern starb so eilig als möglich, nachdem er seinen Sohn vielmal gesegnet hatte. Nach einigen Tagen lauten Schmerzes stand Anton allein in der stillen Wohnung, eine Waise, im Anfang eines neuen Lebens.

Der alte Herr war nicht umsonst Kalkulator gewesen: sein Haushalt war in musterhafter Ordnung, seine sehr geringe Hinterlassenschaft in der geheimen Schublade des Schreibtisches war auf dem gehörigen Blatt Papier zu Heller und Pfennig aufgezeichnet; alles, was im letzten Jahre durch das Dienstmädchen zerschlagen oder verwüstet worden war, fand sich an der betreffenden Stelle bemerkt und abgerechnet, über jedes war Disposition getroffen. Auch ein Brief an den Kaufherrn fand sich vor, den der Verstorbene noch in den letzten Tagen mit zitternder Hand geschrieben hatte: ein treuer Hausfreund war zum Vormund Antons bestellt und mit dem Verkauf des Hauses und Gartens und seines ganzen Inhalts beauftragt, und Anton trat, vier Wochen nach dem Tode des Vaters, an einem frühen Sommermorgen über die Schwelle des väterlichen Hauses, legte den Schlüssel desselben in die Hand des Vormundes, übergab sein Gepäck einem Fuhrmann und fuhr durch das Tor des Städtchens auf die Hauptstadt zu, den Brief seines Vaters an den Kaufmann in der Tasche.

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Schon welkte das frischgemähte Wiesengras in der Mittagssonne, als Anton dem Nachbar aus Ostrau, der ihn bis zur letzten Station vor der Hauptstadt mitgenommen hatte, die Hand schüttelte und dann rüstig auf der Landstraße vorwärts schritt. Es war ein lachender Sommertag, auf den Wiesen klirrte die Sense des Schnitters am Wetzstein, und oben in der Luft sang die unermüdliche Lerche. Vor dem Wanderer strich die Landschaft in hügelloser Ebene fort, am Horizont hinter ihm erhob sich der blaue Zug des Gebirges. Kleine Bäche, von Erlen und Weidengruppen eingefaßt, durchrannen lustig die Landschaft, jeder Bach bildete ein Wiesental, das auf beiden Seiten von üppigen Getreidefeldern begrenzt wurde. Von allen Seiten stiegen die hellen Glockentürme der Kirchen aus dem Boden auf, jeder als Mittelpunkt einer Gruppe von braunen und roten Dächern, die mit einem Kranz von Gehölz umgeben waren. Bei vielen Dörfern konnte man an der stattlichen Baumallee und dem Dach

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