Ungekürztes Werk "Die Leiden des Jungen Werthers" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 17)

mir ging, wurde des Herrn Angesicht, das ohnedas einer bräunlichen Farbe war, so sichtlich verdunkelt, daß es Zeit war, daß Lotte mich beim Ärmel zupfte und mir das Artigtun mit Friederiken abriet. Nun verdrießt mich nichts mehr, als wenn die Menschen einander plagen, am meisten, wenn junge Leute in der Blüte des Lebens, da sie am offensten für alle Freuden sein könnten, einander die paar guten Tage mit Fratzen verderben und nur erst zu spät das Unersetzliche ihrer Verschwendung einsehen. Mir wurmte das, und ich konnte nicht umhin, da wir gegen Abend in den Pfarrhof zurückkehrten und an einem Tische gebrocktes Brot in Milch aßen und der Diskurs auf Freude und Leid in der Welt roulierte, den Faden zu ergreifen und recht herzlich gegen die üble Laune zu reden. »Wir Menschen beklagen uns oft«, fing ich an, »daß der guten Tage so wenig sind und der schlimmen so viel, und wie mich dünkt, meist mit Unrecht. Wenn wir immer ein offenes Herz hätten, das Gute zu genießen, das uns Gott für jeden Tag bereitet, wir würden alsdenn auch Kraft genug haben, das Übel zu tragen, wenn es kommt.« – »Wir haben aber unser Gemüt nicht in unserer Gewalt«, versetzte die Pfarrern, »wie viel hängt vom Körper ab! Wenn man nicht wohl ist, ist's einem überall nicht recht.« Ich gestund ihr das ein. »Wir wollen's also«, fuhr ich fort, »als eine Krankheit ansehen und fragen, ob dafür kein Mittel ist!« – »Das läßt sich hören«, sagte Lotte, »ich glaube wenigstens, daß viel von uns abhängt; ich weiß es an mir, wenn mich etwas neckt und mich verdrüßlich machen will, spring ich auf und sing ein paar Contretänze den Garten auf und ab, gleich ist's weg.« – »Das war's, was ich sagen wollte«, versetzte ich, »es ist mit der üblen Laune völlig wie mit der Trägheit, denn es ist eine Art von Trägheit; unsere Natur hängt sehr dahin, und doch, wenn wir nur einmal die Kraft haben, uns zu ermannen, geht uns die Arbeit frisch von der Hand, und wir finden in der Tätigkeit ein wahres Vergnügen.« Friederike war sehr aufmerksam, und der junge Mensch wandte mir ein, daß man nicht Herr über sich selbst sei und am wenigsten über seine Empfindungen gebieten könne. »Es ist hier die Frage von einer unangenehmen Empfindung«, versetzt ich, »die doch jedermann gern los ist, und niemand weiß, wie weit seine Kräfte gehn, bis er sie versucht hat. Gewiß, einer, der krank ist, wird bei allen Ärzten herumfragen, und die größten Resignationen, die bittersten Arzneien wird er nicht abweisen, um seine gewünschte Gesundheit zu erhalten.« Ich bemerkte, daß der ehrliche Alte sein Gehör anstrengte, um an unserm Diskurs teilzunehmen, ich erhub die Stimme, indem ich die Rede gegen ihn wandte. »Man predigt gegen so viele Laster«, sagt ich, »ich habe noch nie gehört, daß man gegen die üble Laune vom Predigtstuhle gearbeitet hätte.«* – »Das müßten die Stadtpfarrer tun«, sagt er, »die Bauern haben keinen bösen Humor«; doch könnt's auch nichts schaden zuweilen, es wäre eine Lektion

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