Ungekürztes Werk "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 7)

Machiavell: Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.

Regentin: Sein Gewissen hat einen gefälligen Spiegel. Sein Betragen ist oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der völligen Überzeugung lebe, er sei Herr und wolle es uns nur aus Gefälligkeit nicht fühlen lassen, wolle uns so grade nicht zum Lande hinausjagen; es werde sich schon geben.

Machiavell: Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glücklich Blut, das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefährlich aus. Ihr schadet nur ihm und Euch.

Regentin: Ich lege nichts aus. Ich spreche nur von den unvermeidlichen Folgen, und ich kenn ihn. Sein niederländischer Adel und sein Golden Vlies vor der Brust stärken sein Vertraun, seine Kühnheit. Beides kann ihn vor einem schnellen, willkürlichen Unmut des Königs schützen. Untersuch es genau: an dem ganzen Unglücke, das Flandern trifft, ist er doch nur allein schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn, hat’s so genau nicht genommen und vielleicht sich heimlich gefreut, daß wir etwas zu schaffen hatten. Laß mich nur! Was ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser Gelegenheit davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschießen; ich weiß, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.

Machiavell: Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien auch?

Regentin: Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die Last der Verantwortung nahe genug zuwälzen; sie sollen sich mit mir dem Übel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklären. Eile, daß die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift. Dann sende schnell den bewährten Vaska nach Madrid; er ist unermüdet und treu; daß mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daß der Ruf ihn nicht übereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh er abgeht.

Machiavell: Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.

Bürgerhaus

Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.

Klare: Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?

Brackenburg: Ich bitt Euch, verschont mich, Klärchen.

Klare: Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen Liebesdienst?

Brackenburg: Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich kann Euren Augen nicht ausweichen.

Klare: Grillen! kommt und haltet!

Mutter im Sessel strickend: Singt doch eins! Brackenburg sekundiert so hübsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.

Brackenburg: Sonst.

Klare: Wir wollen singen.

Brackenburg: Was Ihr wollt.

Klare: Nur hübsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen, mein Leibstück.

Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg:

Die Trommel gerühret!

Das Pfeifchen gespielt!

Mein Liebster gewaffnet

Dem Haufen befiehlt,

Die Lanze hoch führet,

Die Leute regieret.

Wie klopft mir das Herze!

Wie wallt mir das Blut!

O hätt ich ein Wämslein

Und Hosen und Hut!

Ich folgt’ ihm zum Tor ’naus

Mit mutigem Schritt,

Ging’ durch die Provinzen,

Ging’ überall mit.

Die Feinde schon weichen,

Wir schießen hinterdrein!

Welch Glück sondergleichen,

Ein Mannsbild zu sein!

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