Ungekürztes Werk "Faust 1" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 27)

Nachtigall,

Grüß mir mein Liebchen zehentausendmal!

SIEBEL.

Dem Liebchen keinen Gruß! ich will davon nichts hören!

FROSCH. Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirst mirs nicht verwehren!

Singt: Riegel auf! in stiller Nacht.

Riegel auf! der Liebste wacht.

Riegel zu! des Morgens früh.

SIEBEL. Ja, singe, singe nur und lob und rühme sie!

Ich will zu meiner Zeit schon lachen.

Sie hat mich angeführt, dir wird sies auch so machen.

Zum Liebsten sei ein Kobold ihr beschert:

Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern!

Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,

Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!

Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut

Ist für die Dirne viel zu gut.

Ich will von keinem Gruße wissen,

Als ihr die Fenster eingeschmissen!

BRANDER auf den Tisch schlagend.

Paßt auf! paßt auf! gehorchet mir!

Ihr Herrn, gesteht, ich weiß zu leben!

Verliebte Leute sitzen hier,

Und diesen muß nach Standsgebühr

Zur guten Nacht ich was zum besten geben.

Gebt acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!

Und singt den Rundreim kräftig mit!

Er singt: Es war eine Ratt im Kellernest,

Lebte nur von Fett und Butter,

Hatte sich ein Ränzlein angemäst't

Als wie der Doktor Luther.

Die Köchin hatt ihr Gift gestellt:

Da wards so eng ihr in der Welt,

Als hätte sie Lieb im Leibe.

CHORUS jauchzend. Als hätte sie Lieb im Leibe.

BRANDER. Sie fuhr herum, sie fuhr heraus

Und soff aus allen Pfützen,

Zernagt, zerkratzt das ganze Haus:

Wollte nichts ihr Wüten nützen!

Sie tät gar manchen Ängstesprung,

Bald hatte das arme Tier genung,

Als hätt es Lieb im Leibe.

CHORUS. Als hätt es Lieb im Leibe!

BRANDER. Sie kam für Angst am hellen Tag

Der Küche zugelaufen,

Fiel an den Herd und zuckt und lag

Und tät erbärmlich schnaufen.

Da lachte die Vergifterin noch:

»Ha! sie pfeift auf dem letzten Loch,

Als hätte sie Lieb im Leibe.«

CHORUS. Als hätte sie Lieb im Leibe!

SIEBEL. Wie sich die platten Bursche freuen!

Es ist mir eine rechte Kunst,

Den armen Ratten Gift zu streuen!

BRANDER. Sie stehn wohl sehr in deiner Gunst?

ALTMAYER. Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!

Das Unglück macht ihn zahm und mild;

Er sieht in der geschwollnen Ratte

Sein ganz natürlich Ebenbild.

 

Faust und Mephistopheles.

 

MEPHISTOPHELES. Ich muß dich nun vor allen Dingen

In lustige Gesellschaft bringen,

Damit du siehst, wie leicht sichs leben läßt.

Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.

Mit wenig Witz und viel Behagen

Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,

Wie junge Katzen mit dem Schwanz.

Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,

Solang der Wirt nur weiterborgt,

Sind sie vergnügt und unbesorgt.

BRANDER. Die kommen eben von der Reise:

Man siehts an ihrer wunderlichen Weise;

Sie sind nicht eine Stunde hier.

FROSCH. Wahrhaftig, du hast recht! Mein Leipzig lob ich mir!

Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute.

SIEBEL. Für was siehst du die Fremden an?

FROSCH. Laßt mich nur gehn! Bei einem vollen Glase

Zieh ich, wie einen Kinderzahn,

Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.

Sie scheinen mir aus einem edlen Haus:

Sie sehen stolz

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