Ungekürztes Werk "Faust 1" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 45)

Zeit der Angst verkürzen!

Was muß geschehn, mags gleich geschehn!

Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen

Und sie mit mir zugrunde gehn!

MEPHISTOPHELES. Wies wieder siedet, wieder glüht!

Geh ein und tröste sie, du Tor!

Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,

Stellt er sich gleich das Ende vor.

Es lebe, wer sich tapfer hält!

Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.

Nichts Abgeschmackters find ich auf der Welt

Als einen Teufel, der verzweifelt.

Gretchens Stube

 

GRETCHEN am Spinnrade, allein.

 

Meine Ruh ist hin,

Mein Herz ist schwer;

Ich finde sie nimmer

Und nimmermehr.

 

Wo ich ihn nicht hab,

Ist mir das Grab,

Die ganze Welt

Ist mir vergällt.

 

Mein armer Kopf

Ist mir verrückt,

Mein armer Sinn

Ist mir zerstückt.

 

Meine Ruh ist hin,

Mein Herz ist schwer;

Ich finde sie nimmer

Und nimmermehr.

 

Nach ihm nur schau ich

Zum Fenster hinaus,

Nach ihm nur geh ich

Aus dem Haus.

 

Sein hoher Gang,

Sein edle Gestalt,

Seines Mundes Lächeln,

Seiner Augen Gewalt,

 

Und seiner Rede

Zauberfluß,

Sein Händedruck,

Und ach, sein Kuß!

 

Meine Ruh ist hin,

Mein Herz ist schwer;

Ich finde sie nimmer

Und nimmermehr.

 

Mein Busen drängt

Sich nach ihm hin:

Ach, dürft ich fassen

Und halten ihn

 

Und küssen ihn,

So wie ich wollt,

An seinen Küssen

Vergehen sollt!

Marthens Garten

 

Margarete, Faust.

 

MARGARETE. Versprich mir, Heinrich!

FAUST.                                                    Was ich kann!

MARGARETE. Nun sag: wie hast dus mit der Religion?

Du bist ein herzlich guter Mann,

Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.

FAUST. Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;

Für meine Lieben ließ ich Leib und Blut,

Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

MARGARETE. Das ist nicht recht, man muß dran glauben!

FAUST. Muß man?

MARGARETE.        Ach, wenn ich etwas auf dich könnte!

Du ehrst auch nicht die heilgen Sakramente.

FAUST. Ich ehre sie.

MARGARETE.          Doch ohne Verlangen!

Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.

Glaubst du an Gott?

FAUST.                     Mein Liebchen, wer darf sagen:

Ich glaub an Gott!

Magst Priester oder Weise fragen,

Und ihre Antwort scheint nur Spott

Über den Frager zu sein.

MARGARETE.                 So glaubst du nicht?

FAUST. Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht!

Wer darf ihn nennen

Und wer bekennen:

Ich glaub Ihn!

Wer empfinden

Und sich unterwinden

Zu sagen: ich glaub Ihn nicht!

Der Allumfasser,

Der Allerhalter,

Faßt und erhält Er nicht

Dich, mich, sich selbst?

Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?

Liegt die Erde nicht hierunten fest?

Und steigen freundlich blickend

Ewige Sterne nicht herauf?

Schau ich nicht Aug in Auge dir,

Und drängt nicht alles

Nach Haupt und Herzen dir

Und webt in ewigem Geheimnis

Unsichtbar-sichtbar neben dir?

Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,

Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,

Nenn es dann, wie du willst:

Nenns Glück! Herz! Liebe! Gott!

Ich habe keinen Namen

Dafür! Gefühl ist alles;

Name ist Schall und Rauch,

Umnebelnd Himmelsglut.

MARGARETE. Das ist alles recht schön und gut;

Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,

Nur mit ein bißchen andern

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