Ungekürztes Werk "Faust 2" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 35)

jener Hülle:

Das reiche Laub der grünen Fülle

Verbirgt die hohe Königin.

Wundersam! auch Schwäne kommen

Aus den Buchten hergeschwommen,

Majestätisch-rein bewegt,

Ruhig schwebend, zart gesellig.

Aber stolz und selbstgefällig:

Wie sich Haupt und Schnabel regt! –

Einer aber scheint vor allen

Brüstend kühn sich zu gefallen,

Segelnd rasch durch alle fort;

Sein Gefieder bläht sich schwellend,

Welle selbst, auf Wogen wellend,

Dringt er zu dem heiligen Ort. –

Die andern schwimmen hin und wieder

Mit ruhig glänzendem Gefieder,

Bald auch in regem prächtigen Streit

Die scheuen Mädchen abzulenken,

Daß sie an ihren Dienst nicht denken,

Nur an die eigne Sicherheit.

NYMPHEN. Leget, Schwestern, euer Ohr

An des Ufers grüne Stufe!

Hör ich recht, so kommt mirs vor

Als der Schall von Pferdes Hufe.

Wüßt ich nur, wer dieser Nacht

Schnelle Botschaft zugebracht!

FAUST. Ist mir doch, als dröhnt die Erde,

Schallend unter eiligem Pferde!

Dorthin mein Blick!

Ein günstiges Geschick,

Soll es mich schon erreichen?

O Wunder ohnegleichen!

Ein Reuter kommt herangetrabt,

Er scheint von Geist und Mut begabt,

Von blendend weißem Pferd getragen –

Ich irre nicht, ich kenn ihn schon:

Der Philyra berühmter Sohn! –

Halt, Chiron! halt! Ich habe dir zu sagen –

CHIRON. Was gibts? was ists?

FAUST.                                      Bezähme deinen Schritt!

CHIRON. Ich raste nicht!

FAUST.                            So, bitte, nimm mich mit!

CHIRON. Sitz auf! so kann ich nach Belieben fragen:

Wohin des Wegs? Du stehst am Ufer hier,

Ich bin bereit, dich durch den Fluß zu tragen.

FAUST aufsitzend.

Wohin du willst. Für ewig dank ichs dir! –

Der große Mann, der edle Pädagog,

Der, sich zum Ruhm, ein Heldenvolk erzog,

Den schönen Kreis der edlen Argonauten

Und alle, die des Dichters Welt erbauten –

CHIRON. Das lassen wir an seinem Ort!

Selbst Pallas kommt als Mentor nicht zu Ehren;

Am Ende treiben sies nach ihrer Weise fort,

Als wenn sie nicht erzogen wären.

FAUST. Den Arzt, der jede Pflanze nennt,

Die Wurzeln bis ins Tiefste kennt,

Dem Kranken Heil, dem Wunden Lindrung schafft,

Umarm ich hier in Geist- und Körperkraft!

CHIRON. Ward neben mir ein Held verletzt,

Da wußt ich Hülf und Rat zu schaffen;

Doch ließ ich meine Kunst zuletzt

Den Wurzelweibern und den Pfaffen.

FAUST. Du bist der wahre große Mann.

Der Lobeswort nicht hören kann:

Er sucht bescheiden auszuweichen

Und tut, als gäb es seinesgleichen.

CHIRON. Du scheinest mir geschickt, zu heucheln,

Dem Fürsten wie dem Volk zu schmeicheln.

FAUST. So wirst du mir denn doch gestehn:

Du hast die Größten deiner Zeit gesehn,

Dem Edelsten in Taten nachgestrebt,

Halbgöttlich-ernst die Tage durchgelebt.

Doch unter den heroischen Gestalten

Wen hast du für den Tüchtigsten gehalten?

CHIRON. Im hehren Argonautenkreise

War jeder brav nach seiner eignen Weise,

Und nach der Kraft, die ihn beseelte,

Konnt er genügen, wos den andern fehlte.

Die Dioskuren haben stets gesiegt,

Wo Jugendfüll und Schönheit überwiegt.

Entschluß und schnelle Tat zu andrer Heil,

Den Boreaden wards zum schönen Teil.

Nachsinnend, kräftig, klug, im Rat bequem,

So herrschte Jason, Frauen angenehm.

Dann Orpheus: zart und immer still-bedächtig,

Schlug er die Leier, allen übermächtig.

Scharfsichtig Lynkeus, der bei Tag und Nacht

Das heilge Schiff

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