Ungekürztes Werk "Faust 2" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 36)

durch Klipp und Strand gebracht.

Gesellig nur läßt sich Gefahr erproben:

Wenn einer wirkt, die andern alle loben.

FAUST. Von Herkules willst nichts erwähnen?

CHIRON. O weh! errege nicht mein Sehnen!

Ich hatte Phöbus nie gesehn,

Noch Ares, Hermes, wie sie heißen;

Da sah ich mir vor Augen stehn,

Was alle Menschen göttlich preisen.

So war er ein geborner König,

Als Jüngling herrlichst anzuschaun,

Dem ältern Bruder untertänig

Und auch den allerliebsten Fraun.

Den zweiten zeugt nicht Gäa wieder,

Nicht führt ihn Hebe himmelein;

Vergebens mühen sich die Lieder,

Vergebens quälen sie den Stein.

FAUST. So sehr auch Bildner auf ihn pochen,

So herrlich kam er nie zur Schau.

Vom schönsten Mann hast du gesprochen,

Nun sprich auch von der schönsten Frau!

CHIRON. Was! Frauenschönheit will nichts heißen

Ist gar zu oft ein starres Bild;

Nur solch ein Wesen kann ich preisen,

Das froh und lebenslustig quillt.

Die Schöne bleibt sich selber selig;

Die Anmut macht unwiderstehlich,

Wie Helena, da ich sie trug.

FAUST. Du trugst sie?

CHIRON.                      Ja, auf diesem Rücken!

FAUST. Bin ich nicht schon verwirrt genug,

Und solch ein Sitz muß mich beglücken!

CHIRON. Sie faßte so mich in das Haar,

Wie du es tust.

FAUST.            O ganz und gar

Verlier ich mich! Erzähle: wie?

Sie ist mein einziges Begehren!

Woher, wohin, ach! trugst du sie?

CHIRON. Die Frage läßt sich leicht gewähren.

Die Dioskuren hatten jener Zeit

Das Schwesterchen aus Räuberfaust befreit.

Doch diese, nicht gewohnt, besiegt zu sein,

Ermannten sich und stürmten hinterdrein.

Da hielten der Geschwister eiligen Lauf

Die Sümpfe bei Eleusis auf;

Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber;

Da sprang sie ab und streichelte

Die feuchte Mähne, schmeichelte

Und dankte lieblich-klug und selbstbewußt.

Wie war sie reizend! jung! des Alten Lust!

FAUST. Erst zehen Jahr!

CHIRON.                          Ich seh, die Philologen,

Sie haben dich so wie sich selbst betrogen.

Ganz eigen ists mit mythologischer Frau:

Der Dichter bringt sie, wie ers braucht, zur Schau;

Nie wird sie mündig, wird nicht alt,

Stets appetitlicher Gestalt,

Wird jung entführt, im Alter noch umfreit;

Gnug, den Poeten bindet keine Zeit.

FAUST. So sei auch sie durch keine Zeit gebunden!

Hat doch Achill auf Pherä sie gefunden,

Selbst außer aller Zeit! Welch seltnes Glück:

Errungene Liebe gegen das Geschick!

Und sollt ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt,

Ins Leben ziehn die einzigste Gestalt?

Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,

So groß als zart, so hehr als liebenswürdig?

Du sahst sie einst, heut hab ich sie gesehn,

So schön wie reizend, wie ersehnt so schön!

Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen:

Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen!

CHIRON. Mein fremder Mann, als Mensch bist du entzückt;

Doch unter Geistern scheinst du wohl verrückt.

Nun trifft sichs hier zu deinem Glücke;

Denn alle Jahr, nur wenig Augenblicke,

Pfleg ich bei Manto vorzutreten,

Der Tochter Äskulaps; im stillen Beten

Fleht sie zum Vater, daß, zu seiner Ehre,

Er endlich doch der Ärzte Sinn verkläre

Und vom verwegnen Totschlag sie bekehre –

Die liebste mir aus der Sibyllengilde:

Nicht fratzenhaft bewegt, wohltätig-milde;

Ihr glückt es wohl, bei einigem Verweilen,

Mit Wurzelkräften dich von Grund

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