Ungekürztes Werk "Faust 2" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 68)

er je bedurfte,

Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen und Gefäßen,

Rechts und links der kühlen Grüfte, ewige Zeiten aufbewahrt.

Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,

Lüftend, feuchtend, wärmend, glutend, Beerenfüllhorn aufgehäuft,

Wo der stille Winzer wirkte, dort auf einmal wirds lebendig,

Und es rauscht in jedem Laube, raschelt um von Stock zu Stock.

Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten ächzen hin,

Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer kräftgem Tanz.

Und so wird die heilige Fülle reingeborner, saftiger Beeren

Frech zertreten: schäumend, sprühend mischt sichs, widerlich zerquetscht.

Und nun gellt ins Ohr der Zimbeln mit der Becken Erzgetöne;

Denn es hat sich Dionysos aus Mysterien enthüllt,

Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, schwenkend Ziegenfüßlerinnen,

Und dazwischen schreit unbändig grell Silenus öhrig Tier.

Nichts geschont! Gespaltne Klauen treten alle Sitte nieder,

Alle Sinne wirbeln taumlig, gräßlich übertäubt das Ohr.

Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt sind Kopf und Wänste;

Sorglich ist noch ein- und andrer, doch vermehrt er die Tumulte:

Denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch den alten Schlauch!

Der Vorhang fällt.

Phorkyas, im Proszenium, richtet sich riesenhaft auf, tritt aber

von den Kothurnen herunter, lehnt Maske und Schleier zurück

und zeigt sich als Mephistopheles, um, insofern es nötig wäre,

 im Epilog das Stück zu kommentieren.

 

Vierter Akt

 

Hochgebirg

Starre, zackige Felsengipfel.

Eine Wolke zieht herbei, lehnt sich an, senkt sich auf eine

vorstehende Platte herab. Sie teilt sich.

FAUST tritt hervor.

Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem Fuß,

Betret ich wohlbedächtig dieser Gipfel Saum,

Entlassend meiner Wolke Tragewerk, die mich sanft

An klaren Tagen über Land und Meer geführt.

Sie löst sich langsam, nicht zerstiebend, von mir ab.

Nach Osten strebt die Masse mit geballtem Zug;

Ihr strebt das Auge staunend in Bewundrung nach.

Sie teilt sich wandelnd, wogenhaft, veränderlich;

Doch will sichs modeln. – Ja, das Auge trügt mich nicht!

Auf sonnbeglänzten Pfühlen herrlich hingestreckt,

Zwar riesenhaft, ein göttergleiches Fraungebild,

Ich sehs! Junonen ähnlich, Ledan, Helenen,

Wie majestätisch-lieblich mirs im Auge schwankt!

Ach! schon verrückt sichs! Formlos-breit und aufgetürmt

Ruht es in Osten, fernen Eisgebirgen gleich,

Und spiegelt blendend flüchtger Tage großen Sinn.

Doch mir umschwebt ein zarter, lichter Nebelstreif

Noch Brust und Stirn, erheiternd, kühl und schmeichelhaft.

Nun steigt es leicht und zaudernd hoch und höher auf,

Fügt sich zusammen. – Täuscht mich ein entzückend Bild

Als jugenderstes, längstentbehrtes höchstes Gut?

Des tiefsten Herzens frühste Schätze quellen auf:

Aurorens Liebe, leichten Schwung bezeichnets mir,

Den schnellempfundnen, ersten, kaum verstandnen Blick,

Der, festgehalten, überglänzte jeden Schatz.

Wie Seelenschönheit steigert sich die holde Form,

Löst sich nicht auf, erhebt sich in den Äther hin

Und zieht das Beste meines Innern mit sich fort.

Ein Siebenmeilenstiefel tappt auf. Ein anderer folgt alsbald.

Mephistopheles steigt ab. Die Stiefel schreiten eilig weiter.

MEPHISTOPHELES. Das heiß ich endlich vorgeschritten!

Nun aber sag: was fällt dir ein?

Steigst ab in solcher Greuel Mitten,

Im gräßlich gähnenden Gestein?

Ich kenn es wohl, doch nicht an dieser Stelle;

Denn eigentlich war das der Grund der Hölle.

FAUST.

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