Ungekürztes Werk "Lyrik in Auswahl" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 12)

Rettung

Mein Mädchen ward mir ungetreu,

Das machte mich zum Freudenhasser;

Da lief ich an ein fließend Wasser,

Das Wasser lief vor mir vorbei.

Da stand ich nun, verzweiflend, stumm;

Im Kopfe war mir’s wie betrunken,

Fast wär ich in den Strom gesunken,

Es ging die Welt mit mir herum.

Auf einmal hört ich was, das rief –

Ich wandte just dahin den Rücken –,

Es war ein Stimmchen zum Entzücken:

»Nimm dich in acht! Der Fluß ist tief.«

Da lief mir was durchs ganze Blut,

Ich seh, so ist’s ein liebes Mädchen;

Ich fragte sie: »Wie heißt du?« – »Käthchen!«

»O schönes Käthchen! Du bist gut.

Du hältst vom Tode mich zurück,

Auf immer dank ich dir mein Leben;

Allein das heißt mir wenig geben,

Nun sei auch meines Lebens Glück!«

Und dann klagt ich ihr meine Not,

Sie schlug die Augen lieblich nieder;

Ich küßte sie und sie mich wieder,

Und – vorderhand nichts mehr von Tod.

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