Interpretation "Götz von Berlichingen" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 5)

Neu ist in dem Stück auch, und das hat sicher stark zu seinem Erfolg beigetragen, dass anstelle der importierten Stoffe aus der griechisch-römischen Antike in Tragödien und Schäferspielen nun ein Gegenstand von 'nationalem' Gehalt tritt; den Stoff des Dramas hat Goethe nämlich der 1731 in Leipzig erschienenen Lebensbeschreibung des Herrn Götz von Berlichigen, der Autobiographie eines Ritters aus dem 16. Jahrhundert, entnommen.

Übrigens ist die empörte Ablehnung Friedrichs des Großen bezeichnend. Er nennt das Stück "eine abscheuliche Nachahmung jener schlechten englischen Stücke" (womit er Shakespeare meint). Wie Friedrich der Große orientiert sich der gesamte deutsche Adel jener Zeit an der französischen Kultur, und allein der deutsche Stoff des Dramas ist ein Angriff auf den kulturellen – und damit zumindest implizit den politischen – Führungsanspruch dieses Standes.

Die Wirkung, die Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand auf die dichterische Produktion des Sturm und Drang hat, ist enorm. Nach der Uraufführung 1774 – Goethe hatte das Stück auf Anraten Herders umgearbeitet und gestrafft – entsteht eine Flut von historischen Dramen, in denen titanische Helden an den Zeitumständen zugrunde gehen. Goethes Dramaturgie steht aber auch am Anfang einer Entwicklung, die über die Stücke Jakob Michael Reinhold Lenz’ und Friedrich Schillers Die Räuber bis zu Georg Büchner reicht. Und jede Epoche, die Normen und Regeln gesellschaftlicher und ästhetischer Art in Frage stellt, wird sich auf die Tradition des Sturm und Drang besinnen, die auf der Bühne mit Goethes Götz von Berlichingen begonnen hat.

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