Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 71)
Männchen mit sichtbarer Angst.
»Nun«, schrie Falke, »was ist der Carmilhan?«
»Der Carmilhan ist jetzt nichts, aber einst war es ein schönes Schiff, mit mehr Gold beladen, als je ein anderes Fahrzeug getragen.«
»Wo ging es zugrunde – und wann?«
»Es war vor hundert Jahren; wo, weiß ich nicht genau. Ich komme, um die Stelle zu suchen und das verlorene Gold aufzufischen; willst du mir helfen, so wollen wir den Fund miteinander teilen.«
»Mit ganzem Herzen; sag mir nur, was muß ich tun?«
»Was du tun mußt, erfordert Mut: Du mußt dich gerade vor Mitternacht in die wildeste und einsamste Gegend auf der Insel begeben, begleitet von einer Kuh, die du dort schlachten und dich von jemand in ihre frische Haut wickeln lassen mußt. Dein Begleiter muß dich dann niederlegen und allein lassen, und ehe es ein Uhr schlägt, weißt du, wo die Schätze des Carmilhan liegen.«
»Auf diese Weise fiel der alte Engrol mit Leib und Seele ins Verderben!« rief Wilm mit Entsetzen. »Du bist der böse Geist«, fuhr er fort, indem er hastig davonruderte; »geh zur Hölle! Ich mag nichts mit dir zu tun haben!«
Das Männchen knirschte, schimpfte und fluchte ihm nach; aber der Fischer, welcher zu beiden Rudern gegriffen hatte, war ihm bald aus dem Gehör und, nachdem er um einen Felsen gebogen, auch aus dem Gesichte. Aber die Entdeckung, daß der böse Geist sich seinen Geiz zunutze zu machen und mit Gold in seine Schlingen zu locken suchte, heilte den verblendeten Fischer nicht – im Gegenteil, er meinte die Mitteilung des gelben Männchens benutzen zu können, ohne sich dem Bösen zu überliefern, und indem er fortfuhr, an der öden Küste nach Gold zu fischen, vernachlässigte er den Wohlstand, den ihm die reichen Fischzüge in anderen Gegenden des Meeres darboten, sowie alle anderen Mittel, auf die er ehemals seinen Fleiß verwendet, und versank von Tag zu Tage nebst seinem Gefährten in tiefere Armut, bis es an den notwendigsten Lebensbedürfnissen zu fehlen anfing.
Aber obgleich dieser Verfall gänzlich Falkes Halsstarrigkeit und falscher Begierde zugeschrieben werden mußte und die Ernährung beider jetzt Kaspar Strumpf allein anheimfiel, so machte ihm doch dieser niemals den geringsten Vorwurf; ja, er bezeugte ihm immer noch dieselbe Unterwürfigkeit, dasselbe Vertrauen in seinen besseren Verstand als zur Zeit, wo ihm seine Unternehmungen allezeit geglückt waren. Dieser Umstand vermehrte Falkes Leiden um ein großes, aber er trieb ihn, noch mehr nach Gold zu suchen, weil er dadurch hoffte, auch seinen Freund für sein gegenwärtiges Entbehren schadlos halten zu können. Dabei verfolgte ihn das teuflische Geflüster des Wortes »Carmilhan« noch immer in seinem Schlummer. Kurz – Not, getäuschte Erwartung und Geiz trieben ihn zuletzt zu einer Art von Wahnsinn, so daß er wirklich beschloß, das zu tun, was ihm das Männchen angeraten, obgleich er, nach der alten Sage, wohl wußte, daß er sich damit den Mächten der Finsternis übergab.
Alle Gegenvorstellungen Kaspars waren vergebens. Falke wurde nur um so heftiger, je mehr jener ihn anflehte, von seinem verzweifelten Vorhaben abzustehen. Und der gute, schwache Mensch willigte endlich ein, ihn zu begleiten und ihm seinen Plan ausführen