Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 72)
zu helfen. Beider Herzen zogen sich schmerzhaft zusammen, als sie einen Strick um die Hörner einer schönen Kuh – ihr letztes Eigentum – legten, die sie vom Kalbe aufgezogen und die sie sich immer zu verkaufen geweigert hatten, weil sie's nicht übers Herz bringen konnten, sie in fremden Händen zu sehen. Aber der böse Geist, welcher sich Wilms bemeisterte, erstickte jetzt alle besseren Gefühle in ihm, und Kaspar wußte ihm in nichts zu widerstehen.
Es war im September, und die langen Nächte des schottischen Winters hatten angefangen. Die Nachtwolken wälzten sich schwer vor dem rauhen Abendwinde und türmten sich wie Eisberge im Clyde-Strom; tiefer Schatten füllte die Schluchten zwischen dem Gebirge und den feuchten Torfsümpfen, und die trüben Bette der Ströme blickten schwarz und furchtbar wie Höllenschlünde. Falke ging voran, und Strumpf folgte, schaudernd über seine eigene Kühnheit, und Tränen füllten sein schweres Auge, sooft er das arme Tier ansah, welches so vertrauensvoll und bewußtlos seinem baldigen Tode entgegenging, der ihm von der Hand werden sollte, die ihm bisher seine Nahrung gereicht.
Mit Mühe kamen sie in das enge, sumpfige Bergtal, welches hier und da mit Moos und Heidekraut bewachsen, mit großen Steinen übersät war und von einer wilden Gebirgskette umgeben lag, die sich in grauen Nebel verlor und wohin der Fuß eines Menschen sich selten verstieg. Sie näherten sich auf wankendem Boden einem großen Stein, welcher in der Mitte stand und von welchem ein verscheuchter Adler krächzend in die Höhe flog. Die arme Kuh brüllte dumpf, als erkenne sie die Schrecknisse des Ortes und das ihr bevorstehende Schicksal.
Kaspar wandte sich weg, um sich die schnell fließenden Tränen abzuwischen. Er blickte hinab durch die Felsenöffnung, durch welche sie heraufgekommen waren, von wo aus man die ferne Brandung des Meeres hörte; und dann hinauf nach den Berggipfeln, auf welche sich ein kohlschwarzes Gewölk gelagert hatte, aus welchem man von Zeit zu Zeit ein dumpfes Murmeln vernahm. Als er sich wieder nach Wilm umsah, hatte dieser bereits die arme Kuh an den Stein gebunden und stand mit aufgehobener Axt, im Begriff, das gute Tier zu fällen.
Dies war zuviel für seinen Entschluß, sich in den Willen seines Freundes zu fügen. Mit gerungenen Händen stürzte er sich auf die Knie. »Um Gottes willen, Wilm Falke«, schrie er mit der Stimme der Verzweiflung, »schone dich; schone die Kuh! Schone dich und mich! Schone deine Seele! – Schone dein Leben! Und mußt du Gott so versuchen, so warte bis morgen und opfere lieber ein anderes Tier als unsere liebe Kuh!«
»Kaspar, bist du toll?« schrie Wilm wie ein Wahnsinniger, indem er noch immer die Axt in der Höhe geschwungen hielt. »Soll ich die Kuh schonen und verhungern?«
»Du sollst nicht verhungern«, antwortete Kaspar entschlossen. »Solange ich Hände habe, sollst du nicht verhungern. Ich will vom Morgen bis in die Nacht für dich arbeiten; nur bring dich nicht um deiner Seele Seligkeit und laß mir das arme Tier leben!«
»Dann nimm die Axt und spalte mir den Kopf!« schrie Falke mit verzweifeltem Tone. »Ich gehe nicht von diesem Fleck, bis ich habe,