Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 83)

junge Mann unglücklich fühlte; ja der Gedanke lag nicht gar zu ferne, daß der verschlagene Weidmann vielleicht Mittel zu ihrer Flucht finden könnte.

Sie berieten sich noch miteinander, was zu tun sei. Die Gräfin beschloß, da ja sie kein Schwur gegen den Räuber binde, sogleich zu ihrem Gemahl zurückzureisen und alles aufzubieten, den Aufenthalt der Gefangenen zu entdecken, sie zu befreien; der Fuhrmann versprach, nach Aschaffenburg zu reiten und die Gerichte zur Verfolgung der Räuber aufzurufen. Der Zirkelschmied aber wollte seine Reise fortsetzen.

Die Reisenden wurden in dieser Nacht nicht mehr beunruhigt; Totenstille herrschte in der Waldschenke, die noch vor kurzem der Schauplatz so schrecklicher Szenen gewesen war. Als aber am Morgen die Bedienten der Gräfin zu dem Wirt hinabgingen, um alles zur Abfahrt fertigzumachen, kehrten sie schnell zurück und berichteten, daß sie die Wirtin und ihr Gesinde in einem elenden Zustande gefunden hätten. Sie lägen gebunden in der Schenke und flehten um Beistand.

Die Reisenden sahen sich bei dieser Nachricht erstaunt an.

»Wie?« rief der Zirkelschmied. »So sollten diese Leute dennoch unschuldig sein? So hätten wir ihnen unrecht getan, und sie standen nicht im Einverständnis mit den Räubern?«

»Ich lasse mich aufhängen statt ihrer«, erwiderte der Fuhrmann, »wenn wir nicht dennoch recht hätten. Dies alles ist nur Betrug, um nicht überwiesen werden zu können. Erinnert ihr euch nicht der verdächtigen Mienen dieser Wirtschaft? Erinnert ihr euch nicht, wie ich hinabgehen wollte; wie mich der abgerichtete Hund nicht losließ; wie die Wirtin und der Hausknecht sogleich erschienen und mürrisch fragten, was ich denn noch zu tun hätte? Doch es war unser – wenigstens der Frau Gräfin – Glück. Hätte es in der Schenke weniger verdächtig ausgesehen, hätte uns die Wirtin nicht so mißtrauisch gemacht, wir wären nicht zusammengestanden, wären nicht wach geblieben. Die Räuber hätten uns überfallen im Schlafe, hätten zum wenigsten unsere Tür bewacht, und diese Verwechselung des braven, jungen Burschen wäre nimmer möglich geworden.«

Sie stimmten mit der Meinung des Fuhrmanns alle überein und beschlossen, auch die Wirtin und ihr Gesinde bei der Obrigkeit anzugeben. Doch um sie desto sicherer zu machen, wollten sie sich jetzt nichts merken lassen. Die Bedienten und der Fuhrmann gingen daher hinab in das Schenkzimmer, lösten die Bande der Diebeshehler auf und bezeigten sich so mitleidig und bedauernd als möglich.

Um ihre Gäste noch mehr zu versöhnen, machte die Wirtin nur eine kleine Rechnung für jeden und lud sie ein, recht bald wiederzukommen.

Der Fuhrmann zahlte seine Zeche, nahm von seinen Leidensgenossen Abschied und fuhr seine Straße.

Nach diesem machten sich die beiden Handwerksburschen auf den Weg. So leicht das Bündel des Goldschmieds war, so drückte es doch die zarte Dame nicht wenig. Aber noch viel schwerer wurde ihr ums Herz, als unter der Haustür die Wirtin ihre verbrecherische Hand hinstreckte, um Abschied zu nehmen. »Ei, was seid Ihr doch für ein junges Blut!« rief sie beim Anblick des zarten Jungen. »Noch so jung und schon in die Welt hinaus! Ihr seid gewiß ein verdorbenes Kräutlein, das der Meister aus der Werkstatt jagte. Nun, was geht es mich an; schenkt mir die

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