Ungekürztes Werk "Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven" von Wilhelm Hauff (Seite 30)
auch der Leibschoßhund der Kaiserin entlaufen.
Ein Haufe schwarzer Sklaven kam herbeigerannt, und sie schrien schon von weitem: »Habt ihr den Schoßhund der Kaiserin nicht gesehen?«
»Es ist kein Hund, den ihr suchet, meine Herren«, sagte Abner; »es ist eine Hündin!«
»Allerdings!« rief der erste Eunuch hocherfreut. »Aline, wo bist du?«
»Ein kleiner Wachtelhund«, fuhr Abner fort, »der vor kurzem Junge geworfen; langes Behänge, Federschwanz, hinkt auf dem rechten vorderen Bein.«
»Sie ist's, wie sie leibt und lebt!« rief der Chor der Schwarzen. »Es ist Aline! Die Kaiserin ist in Krämpfe verfallen, sobald sie vermißt wurde. Aline, wo bist du? Was soll aus uns werden, wenn wir ohne dich in den Harem zurückkehren? Sprich geschwind, wohin hast du sie laufen sehen?«
»Ich habe gar keinen Hund gesehen; weiß ich doch nicht einmal, daß meine Kaiserin, welche Gott erhalte, einen Wachtelhund besitzt.«
Da ergrimmten die Leute vom Stalle und vom Harem über Abners Unverschämtheit, wie sie es nannten, über kaiserliches Eigentum seinen Scherz zu treiben, und zweifelten keinen Augenblick – so unwahrscheinlich dies auch war –, daß er Hund und Pferd gestohlen habe. Während die anderen ihre Nachforschungen fortsetzten, packten der Stallmeister und der erste Eunuch den Juden und führten den halb pfiffig, halb ängstlich Lächelnden vor das Angesicht des Kaisers.
Aufgebracht berief Muley Ismael, als er den Hergang vernommen, den gewöhnlichen Rat des Palastes und führte in Betracht der Wichtigkeit des Gegenstandes selbst den Vorsitz. Zur Eröffnung der Sache wurde dem Angeschuldigten ein halbes Hundert Streiche auf die Fußsohlen zuerkannt. Abner mochte schreien oder winseln, seine Unschuld beteuern oder versprechen, alles zu erzählen, wie es sich zugetragen, Sprüche aus der Schrift oder dem Talmud anführen, mochte rufen: »Die Ungnade des Königs ist wie das Brüllen eines jungen Löwen, aber seine Gnade ist Tau auf dem Grase!« oder: »Laß nicht zuschlagen deine Hand, wenn dir Augen und Ohren verschlossen sind« – Muley Ismael winkte und schwor bei des Propheten Bart und seinem eigenen, der Philister solle die Schmerzen des Prinzen Abdallah und die Krämpfe der Kaiserin mit dem Kopfe bezahlen, wenn die Flüchtigen nicht wieder beigebracht würden.
Noch erschallte der Palast des Kaisers von Marokko von dem Schmerzgeschrei des Patienten, als die Nachricht einlief, Hund und Pferd seien wiedergefunden. Aline überraschte man in der Gesellschaft einiger Möpse – sehr anständiger Leute, die sich aber für sie als Hofdame durchaus nicht schickten –, und Emir hatte, nachdem er sich müde gelaufen, das duftende Gras auf den grünen Wiesen am Bache Tara wohlschmeckender gefunden als den kaiserlichen Hafer; gleich dem ermüdeten fürstlichen Jäger, der, auf der Parforcejagd verirrt, über dem schwarzen Brot und der Butter in der Hütte des Landmanns alle Leckereien seiner Tafel vergißt.
Muley Ismael verlangte nun von Abner eine Erklärung seines Betragens, und dieser sah sich nun, wiewohl etwas spät, imstande, sich zu verantworten, was er, nachdem er vor Seiner Hoheit Thron dreimal die Erde mit der Stirn berührt, in folgenden Worten tat: »Großmächtigster Kaiser, König der Könige, Herr des Westens, Stern der Gerechtigkeit, Spiegel der Wahrheit, Abgrund der Weisheit, der du so glänzend bist wie Gold, so strahlend wie