Ungekürztes Werk "Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven" von Wilhelm Hauff (Seite 33)
sehen? Er ist entflohen; er muß diesen Weg genommen haben ins Gebirge.«
»Kann nicht dienen, Herr General«, antwortete Abner.
»Ach, bist du nicht der pfiffige Jude, der den Fuchsen und den Hund nicht gesehen hat? Mach nur keine Umstände; hier muß der Sklave vorbeigekommen sein; riechst du vielleicht noch den Duft seines Schweißes in der Luft? Siehst du noch die Spuren seines flüchtigen Fußes im hohen Grase? Sprich! Der Sklave muß herbei; er ist einzig im Sperlingschießen mit dem Blaserohr, und dies ist Seiner Majestät Lieblingszeitvertreib. Sprich, oder ich lasse dich sogleich krumm fesseln.«
»Kann ich doch nicht sagen, ich habe gesehen, was ich doch nicht hab' gesehen!«
»Jude, zum letztenmal: Wohin ist der Sklave gelaufen? Denk an deine Fußsohlen; denk an deine Zechinen!«
»O weh geschrien! Nun, wenn Ihr absolut haben wollt, daß ich soll gesehen haben den Sperlingschützen, so lauft dorthin; ist er dort nicht, so ist er anderswo.«
»Du hast ihn also gesehen?« brüllte ihn der Soldat an.
»Ja denn, Herr Offizier, weil Ihr es so haben wollt.«
Die Soldaten verfolgten eilig die angewiesene Richtung. Abner aber ging, innerlich über seine List zufrieden, nach Hause. Kaum aber war er vierundzwanzig Stunden älter geworden, so drang ein Haufe von der Wache des Palastes in sein Haus und verunreinigte es – denn es war Sabbat – und schleppte ihn vor das Angesicht des Kaisers von Marokko.
»Hund von einem Juden«, schnaubte ihn der Kaiser an, »du wagst es, kaiserliche Bediente, die einen flüchtigen Sklaven verfolgen, auf falsche Spur ins Gebirge zu schicken, während der Flüchtling der Meeresküste zueilt und beinahe auf einem spanischen Schiffe entkommen wäre? Greift ihn, Soldaten! Hundert auf die Sohlen! Hundert Zechinen aus dem Beutel! Um wieviel die Sohlen schwellen unter den Hieben, um soviel soll der Beutel einschnurren!«
Du weißt es, o Herr, im Reiche des Fes und in Marokko liebt man schnelle Gerechtigkeit, und so wurde der arme Abner geprügelt und besteuert, ohne daß man ihn zuvor um seine Einwilligung befragt hätte. Er aber verfluchte sein Geschick, das ihn dazu verdammte, daß seine Sohlen und sein Beutel es hart empfinden sollten, sooft Seine Majestät geruhten, etwas zu verlieren.
Als er aber brummend und seufzend unter dem Gelächter des rohen Hofvolks aus dem Saale hinkte, sprach zu ihm Schnuri, der Spaßmacher: »Gib dich zufrieden, Abner, undankbarer Abner; ist es nicht Ehre genug für dich, daß jeder Verlust, den unser gnädiger Kaiser, den Gott erhalte, erleidet, auch dir empfindlichen Kummer verursachen muß? Versprichst du mir aber ein gut Trinkgeld, so komme ich jedesmal eine Stunde, bevor der Herr des Westens etwas verliert, an deine Bude in der Judengasse und spreche: ›Gehe nicht aus deiner Hütte, Abner, du weißt schon warum; schließe dich ein in dein Kämmerlein bis zu Sonnenuntergang, beides unter Schloß und Riegel.‹«
Dies, o Herr, ist die Geschichte von Abner, der nichts gesehen hat.
*
Als der Sklave geendet hatte und es wieder stille im Saale geworden war, erinnerte der junge Schreiber den Alten, daß sie den Faden ihrer Unterhaltung abgebrochen hatten, und bat, ihnen zu erklären, worin denn eigentlich der mächtige Reiz des Märchens liege.
»Das will